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Wie Tiere unser Dasein bereichern und unsere Seele heilen

Vom Leben und Sterben mit tierischen Begleitern

Donnerstagmorgen. Ich sitze in der Tierklinik. Mein Herz pocht, meine Gedanken fahren Achterbahn. Anton, mein Hund, wird gerade in den OP-Saal gebracht. Ellenbogen-Dysplasie. Heutzutage kein großer Eingriff, zumindest laut der Ärztin. Sie und ihre Assistenten versuchen, mir meine Sorgen zu nehmen. Vermutlich spüren sie, wie angespannt ich bin. Alle zwei Minuten schaue ich auf die Uhr, versuche, mich abzulenken. Ohne Erfolg. Also schreibe ich diese Zeilen, in der Hoffnung, mich dadurch selbst zu beruhigen.

Im OP liegt Anton, mein 5-jähriger Husky-Wolfshund-Mix aus Rumänien. Rückblick: 2017 lese ich Anton zusammen mit seinen vier Geschwistern auf der Straße auf. Er, ein weißes, 1,7 kg schweres Hunde-Elend. Krank, abgemagert, nicht wirklich überlebensfähig. Seinen Geschwistern geht es zum Glück gut. Sie werden direkt in das Tierheim gebracht, mit dem wir vor Ort zusammenarbeiten.
Anton kommt zum Tierarzt. Es wird versucht, Blut abzunehmen, doch es gelingt weder am Vorder- noch am Hinterbein. Also wird die Halsschlagader angezapft. Ich halte ihn fest, spreche beruhigend auf ihn ein, und merke, wie meine Beine wegkippen. Während Anton die Prozedur tapfer übersteht, werde ich auf einem Stuhl platziert und mit Keksen und Cola wieder aufgepäppelt.
Plötzlich laufen mir Tränen über die Wangen. Wie kann es sein, dass so ein kleines, schwaches Wesen dies hier alles so wegsteckt und ich als erwachsene Frau nicht einmal das Zusehen aushalte? Anton schaut mich an, wedelt mit seinem Schwänzchen und scheint mir sagen zu wollen: „Hey, alles gut, ich schaffe das schon.” In diesem Moment gebe ich ihm das Versprechen, ihm ein Für-immer-Zuhause zu schenken, wenn er überlebt.
Heute, fünf Jahre später, sitze ich nun wieder im Wartezimmer. Erneut mit wackeligen Beinen. Aber dieses Mal allein. Ohne Anton. Jedoch mit fünf Jahren mehr Lebens- und Hundeerfahrung und einem inneren Schatz, den ich u. a. ihm zu verdanken habe.

VOM NUTZTIER ZUM SEELENTRÖSTER

Wie wichtig Tiere für unser Leben sind, war mir schon immer bewusst. Aufgewachsen in einer Fischerfamilie, die Schweine und Hasen auf dem Bauernhof meiner Großeltern gefüttert, bis sie selbst zu „Futter“ wurden, und im Alter von 12 Jahren zur Besitzerin von Pferd Dusty geworden. Ein Leben ohne Tiere kenne ich nicht und möchte ich auch nicht kennenlernen. Früher war mir deren Wichtigkeit hauptsächlich intuitiv bewusst, heute, ein paar Jährchen und Erfahrungen später, weiß ich es auch kognitiv, sowohl privat als auch von Berufswegen her.
Als Rednerin für Hochzeiten und Beerdigungen biete ich nämlich auch Zeremonien an, wenn der Hund, die Katze, das Pferd, die Gans, der Hase oder der Papagei verstorben ist. Eine Sparte, die immer größer wird. Noch vor zehn Jahren wäre ich mit dieser Idee vermutlich allein dagestanden, oder hätte hämische Kommentare bekommen.
Was hat sich verändert? Warum sind Tiere für das Leben vieler Menschen so wichtig? Ist es legitim, um einen tierischen Begleiter ebenso zu trauern wie um einen menschlichen? Fragen, die ich gerne in diesem Artikel beantworte und zugleich eine Einladung an Sie ausspreche, es mir gleichzutun. Früher waren Tiere Nutztiere. Die Kuh gibt Milch, das Schwein spielt den Mülleimer, um dann irgendwann als Kotelett auf den Tisch zu kommen, die Hühner legen Eier, die Katzen fangen die Mäuse, das Pferd zieht den Wagen, der Hund beschützt das Grundstück.
Tiere übernahmen schon immer eine wichtige Rolle in unserem Leben. Doch durch den technologischen Fortschritt wurde ihre Arbeitskraft, ihre Unterstützung für den Menschen nach und nach ersetzt. Zumindest in der breiten Masse. Die essenzielle Rolle, die Tiere in unserem Leben spielen, ist dadurch nicht geringer geworden. Sie hat sich lediglich verschoben. Und sie ist weiterhin unerlässlich.

DER TIER-BOOM WÄHREND DER PANDEMIE

Wussten Sie, dass sich 2020 die Deutschen laut Peta 1,4 Millionen mehr Haustiere angeschafft haben als in den Jahren zuvor? Vermutlich muss ich Sie nicht daran erinnern, was in diesem Jahr war. Ein kleines Virus hat auf die Stopp-Taste gedrückt, und nichts mehr war wie zuvor.
Der sichere Job unsicher, Begegnungen mit unseren Liebsten wurden als Gefahr eingestuft. Sogar unsere bis dato unantastbare Freiheit wurde uns teilweise weggenommen. Das bisherige Leben war auf den Kopf gestellt. Geblieben sind Unsicherheit, Angst und das Verlangen nach etwas, das das Herz und die Seele nährt.
Diese innere Leere konnten nur die wenigsten aus sich selbst heraus stillen. Also war der Run auf Züchter und Tierheime groß. Wenig überraschend, wie ich finde. Denn wer kann seine Zuneigung schöner zeigen? Wer liebt bedingungsloser? Wem sind Status, Kontostand oder Aussehen egal? Wer lebt so sehr im Hier und Jetzt, wie es sonst nur Mönche tun? Das können nur Tiere. Natürlich sind auch wir Menschen bestrebt, möglichst aufrichtig zu lieben und wertungsfrei unterwegs zu sein. Doch ich behaupte, dass uns das selten oder nicht immer gelingt. Oder zumindest nur mit einer gewissen Anstrengung. Bei Tieren ist das anders. Sie sind, wie sie sind. Sie lieben uns mit ganzem Herzen, ohne jegliche Erwartungen zu stellen. Gut, der Futternapf sollte schon gefüllt sein. Aber sonst? Da wird nicht gezickt, wenn man fünf Minuten zu spät nach Hause kommt, schlechte Laune hat oder sonntags nicht das schicke Hemd anzieht.
Sein. Einfach sein. Wie das geht? Unsere Tiere zeigen es uns. Eines der Dinge, die so unendlich wohltuend sind. Denn wir leben in einer Welt, in der es immer darum geht, größer, besser, schneller zu werden. In einer Welt, die uns suggeriert, nicht gut genug zu sein. In einer Welt, in der es manchmal so laut sein kann, dass wir uns selbst verlieren. Unsere Tiere schaffen durch ihre Ruhe, ihre bedingungslose Art, durch ihr bloßes Sein einen Ort, an dem wir einfach wir selbst sein dürfen. Einen Ort, an dem wir uns und unseren inneren Frieden wiederfinden können. Nach einer stressigen Woche gibt es für mich nichts Schöneres, als mit Dusty und Anton durch die Wälder zu reiten und einfach nur zu sein.
Das Sein bringt mich zum nächsten wesentlichen Faktor. Unsere Tiere sind einfach. Ohne Maske, ohne Hintergedanken. Sofern wir sie zumindest ein bisschen lesen können, wissen wir direkt Bescheid, was los ist. Da werden keine Spielchen gespielt oder ein Thema von vor drei Wochen erneut aufgegriffen, weil „man sich nochmal Gedanken darüber gemacht hat”. Nein, unsere Tiere sind, wie sie sind, echt und authentisch. Im Hier und Jetzt nehmen sie jeden Moment so an, wie er ist. Falls es ein schöner ist, genießen sie ihn. Haben Sie schon mal eine Katze beobachtet, die sich in der Sonne räkelt, ein Pferd, das genüsslich die Weide abgrast, einen Hund, der voller Freude tobt? Ich schon. Und noch nie hatte ich das Gefühl, dass sie nur halb dabei sind, weil der Kopf schon beim Abendessen, der Gassirunde oder der Dressurprüfung steckt.
Auch ihre Kommunikation ist direkt und offen. Wenn ein Hund etwas nicht möchte, zeigt er die Zähne, die Katze fährt die Krallen aus, das Pferd bringt das Hinterbein in Position. Da muss ich als Gegenüber nicht lange nachdenken, was los sein könnte. Ohne Umwege wird sich direkt mitgeteilt, und das ohne Stimme. Überlegen Sie mal, wie viele Büro- Streitigkeiten, Ehekrisen oder Brüche in Freundschaften durch eine ähnlich direkte Kommunikation vermieden werden könnten. Welch tierisches Vorbild!
Ebenso hinsichtlich schlechter Zeiten. Beispiel: Was machen Tiere, wenn sie krank sind? Schmeißen sie sich direkt Tabletten ein, um am nächsten Tag wieder fit zu sein? Oder schlafen sie einfach zwei, drei Tage und gönnen ihrem Körper die Ruhe, die gerade benötigt wird? Definitiv letzteres. Was gesünder und klüger ist.

GRÖSSER, BESSER, SCHNELLER KANN AUCH AM ZIEL VORBEIFÜHREN

Doch wann haben wir das verlernt? Warum meinen wir, immer funktionieren zu müssen? Ach ja, stimmt, es gibt ja die Welt da draußen, in der es immer darum geht. Doch ist das zielführend? Geht es darum, nur zu funktionieren? Ich sage Nein.
Auch das habe ich mir von meinen Tieren abgeschaut. Mit Dusty war ich früher auf Turnieren. Als Pony hat er einen waschechten Dickkopf, und dank diesem sind wir nur selten durch einen Parcours gekommen. Ob ich ihn deshalb weniger liebte? Ganz und gar nicht. Natürlich habe ich mich früher grün und blau geärgert, wenn er mal wieder wegen einer wehenden Pflanze nicht springen wollte. Doch meiner Liebe ihm gegenüber tat das nie einen Abbruch, auch wenn das nicht alle verstehen konnten. Die Aussagen vieler Pferdeprofis habe ich noch heute im Ohr: „Verkauf den Gaul, mit dem wirst du nie erfolgreich werden.”
Das kam für mich nie infrage. Wenngleich ich den Schatz, den Dusty mir geschenkt hat, tatsächlich erst in den letzten Jahren wirklich zu schätzen gelernt habe.
Er hat mir gezeigt, was Geduld bedeutet, dass es nicht immer darum geht, größer, besser, schneller zu sein, und dass Erfolg subjektiv ist.
Die meisten meiner alten Turnier-Bekanntschaften sind zwischenzeitlich Pferde-frei. „Ich habe keine Zeit mehr, es ist zu viel zu tun, mein Alltag lässt das nicht mehr zu. Aber es war eine schöne, wirklich unbeschwerte, wohltuende Zeit.”
Meine Antwort: Entweder ein Lächeln, das mich mit der Sonne um die Wette strahlen lässt, oder: „Für mich ist sie das noch immer. Zwar haben wir nicht so viele Schleifchen und Pokale eingeheimst, doch Dusty und ich haben etwas, das mit keinem Geld der Welt zu bezahlen ist: eine innige, tiefe Verbindung, die nun schon seit 25 Jahren besteht.” Und das Schöne ist: Wir sind kein Einzelfall. So eine einmalige Verbindung entsteht immer, wenn sich eine menschliche und eine tierische Seele gefunden hat. Fragen Sie gerne mal einen Tierhalter, was das Besondere an seinem Liebling ist. Tipp: Nehmen Sie sich Zeit dafür. Denn jeder Besitzer denkt, er hat das beste Tier der Welt. Und ich verrate Ihnen: Jeder hat Recht.

WENN DAS TIERISCHE LEBEN ENDET, BLEIBT DAS DER HALTER OFT STEHEN

Ja, wir können viel von unseren tierischen Begleitern lernen, und sie bereichern unser Leben auf so viele Arten, wenn wir achtsam sind. Doch was passiert, wenn ihr Leben endet? Dann bleibt oft das der Halter stehen.
Tiere tun uns gut. Wir spüren das instinktiv. Umso größer ist die Lücke, die sie hinterlassen, wenn sie gehen. Der Schmerz, der Verlust, das Vermissen wiegt schwer. Doch während die Trauer beim Abschied eines Menschen legitim ist und der Hinterbliebene jegliche Unterstützung des Umfeldes erhält, sieht das beim Tod eines Tieres meist anders aus.
„Es war doch nur ein Hund. Das Pferd war eh alt. Ohne die Katze kannst du wieder in den Urlaub fahren. Kauf dir halt ein neues Tier.” Sätze, die weder hilfreich sind noch stimmen. Sätze, die die Tierhalter oft sprachlos zurücklassen. Denn so gesellt sich zu der Trauer und dem Schmerz noch das Gefühl, übertrieben zu reagieren.
Wie sehr der Verlust des geliebten Begleiters schmerzt, können Außenstehende nicht nachempfinden. Doch das müssen sie auch nicht. Denn auch ohne deren Legitimation ist die Trauer um das verstorbene Tier richtig und wichtig. Für viele Menschen sind die Begleiter mit Fell essenzieller Bestandteil ihrer Familie. Oder sie sind sogar die einzige Familie, die sie haben.
Auch ich habe meinen Hund Arthur viel zu früh gehen lassen müssen. Meine Trauer war groß, fast so groß wie das Unverständnis von Arbeitgeber und meinem erweiterten Umfeld, warum ich jetzt „so ein Fass aufmache”.

WÜRDEVOLL ABSCHIED NEHMEN – TIER-TRAUERFEIERN MACHEN ES MÖGLICH

Diese Hilflosigkeit, dieses Verlorensein war schrecklich. Und ich weiß, dass sich tausende Tierhalter nach dem Verlust ihres Tieres ebenso fühlen. Aus diesem Grund habe ich 2020 Tier-Trauerfeiern ins Leben gerufen.
Ähnlich einer Beerdigung für Menschen haben die Besitzer hier die Möglichkeit, noch einmal in Ruhe, im geschützten Rahmen, sich von ihrem Tier zu verabschieden. Bei einer würdevollen, herzlichen Zeremonie darf getrauert und geweint werden. Aber es geht auch darum, Trost und Halt zu finden und die gemeinsame Zeit Revue passieren zu lassen.
Wie heilsam das für die Tierhalter ist, durfte ich schon unzählige Male erfahren. Denn der Trauerprozess kann nur dann einsetzen, wenn die Trauer erlaubt ist. Und das ist sie bei einer solchen Zeremonie definitiv. Gerne binde ich Rituale ein, bei denen die Anwesenden einen Stein bemalen, einen Talisman an die Gedenkstätte legen oder einige Worte sprechen. Wichtig ist, auf die Bedürfnisse der Besitzer einzugehen und ihnen die Sicherheit zu vermitteln, dass ihre Trauer legitim ist. Verabschiedet wird sich von einer Seele. Ob nun von einer tierischen oder menschlichen, ist zweitrangig.
Meine Vision ist es, dass jeder Tierhalter in Würde „Auf Wiedersehen und Lebewohl” sagen kann. Denn nach allem, was unsere Tiere für uns zu Lebzeiten machen, haben sie einen würdevollen, herzlichen Abschied verdient. Und dieser trägt dazu bei, dass die Halter nach dem Tod ihres Tieres Frieden in ihrem Herzen finden. So wie ich.

P.S. Anton hat die OP gut überstanden und wir genießen sicher schon bald wieder die wohltuenden Ausritte mit Dusty.

CD-TIPP
Isabell Maurer
Tier-Trauerfeier: Jede Reise hat ein Ende, aber die Erinnerung daran ist unvergänglich
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ISABELL MAURER
Zertifizierte Freie Rednerin

TÄTIGKEITSSCHWERPUNKTE
Hochzeiten, Trauerfeiern (Mensch sowie Tier), Autorin

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