Strafe im Hundetraining - Ist das wirklich notwendig?
Um über diese doch sehr umstrittene Frage nachzudenken, muss man sich zuerst ein paar Gedanken zum Lernen im Allgemeinen machen. Schauen wir uns die Definition des Lernens an: Lernen ist die Anpassungsreaktion eines Individuums an die jeweiligen Bedingungen der Situation. Das bedeutet in der Evolution: Wer sich nicht anpassen kann, stirbt aus. Im Alltag heißt es dann: Ein Individuum ist immer bestrebt, das Beste aus der Situation herauszuholen. Also wird versucht, negative Konsequenzen zu vermeiden und positive Konsequenzen zu erhalten.
Lerntheorien
Soviel zur Grundintention des Lernens. Das wirft die Frage auf, welche Arten des Lernens existieren. Dazu gibt es einige Lerntheorien, also Modelle oder Hypothesen, anhand derer die Lernvorgänge psychologisch erklärt werden sollen. Werfen wir einmal einen Blick auf ein paar, im Hundetraining wichtige Lerntheorien:
Soziales Lernen: Das Individuum muss die sozialen Regeln eines Gruppenverbandes lernen, um dazugehören zu dürfen.
Behavioristische Lerntheorien inkl. ihrer Vorgänger:
- Instrumentelle Konditionierung (Thorndike): Verhalten wird als Instrument eingesetzt, um ein befriedigendes Ergebnis zu erzielen.
- Klassische Konditionierung (Pawlow): Das Reflex-oder Emotionslernen, also daswillentlich nicht beeinflussbare Verhalten.
- Operante Konditionierung (Skinner): Lernen über Erfolg vs. Misserfolg oder über Strafe vs. Belohnung.
- Modelllernen (Bandura): Lernen über Einsicht oder Nachahmung.
Situation/Kontext
Wäre hier die Umsetzung gelernten Verhaltens vom Hundeplatz in die „reale“ Welt. Oder Erlernen von Lösungsmustern, die auf andere Situationen übertragen werden können. Natürlich kann man das noch weiter aufteilen oder einzelne Trainingsmethoden wie Shapen, Chaining etc. nennen. Das würde aber doch zu weit gehen.
Gruppenregeln
Daher beschäftige ich mich jetzt nicht genauer mit dem sozialen Lernen. Denn jedes Individuum bzw. jede Gruppe hat eigene Gruppenregeln. Bei mir dürfen z.B. die Hunde auf das Sofa. Mich stört es nicht. Das ist meine Gruppenregel. Bei anderen Leuten dürfen Hunde nicht auf das Sofa, und das ist deren Gruppenregel.
Generalisierung
Auch das Thema „Situation/Kontext“ dürfte jedem, der mit seinem Hund nur auf dem Hundeplatz trainiert, ein Begriff sein. Das Zauberwort hier heißt „Generalisierung“. Üben nicht nur an einem Platz, sondern an vielen Plätzen, damit das Geübte eine Allgemeingültigkeit bekommt. Denn dann kann das Gelernte auch in ähnlichen Situationen abgerufen werden.
Klassische Konditionierung und operante Konditionierung
Da man bei der klassischen Konditionierung im Bereich des willentlich nicht beeinflussbaren Verhaltens arbeitet, ist das für das „normale“ Hundetraining nicht unbedingt relevant. Zwar wird diese Methode auch, bewusst oder unbewusst, im Training genutzt, findet aber eher in der Verhaltenstherapie Anwendung. Beim Hundetraining ist es aber der Wunsch des Halters, das Verhalten des Hundes so zu formen, dass der Hund auf Kommando eine Handlung zeigt oder unterlässt. Also mit einem willentlich beeinflussbaren Verhalten auf das Kommando reagiert. Das ist dann die operante Konditionierung mit den 4 Grundsäulen des Behaviorismus:
- POSITIVE VERSTÄRKUNG
(Etwas Gutes, also Belohnung, wird hinzugefügt) - NEGATIVE VERSTÄRKUNG
(Etwas Schlechtes, also Schmerz/Angst/ Druck, wird weggenommen) - POSITIVE STRAFE
(Etwas Schlechtes, also Schmerz/Angst/Druck, wird zugefügt) - NEGATIVE STRAFE
(Etwas Gutes, also toller Besitz/Freiheit, wird weggenommen)
Positive Verstärkung
Beginnen wir mit der positiven Verstärkung. Laut Lerntheorie will der Hund einen für sich positiven Zustand erreichen. Er möchte z. B. eine Belohnung erhalten. Um an diese zu kommen, ist der Hund bereit, ein Verhalten zu zeigen, das eine Belohnung nach sich zieht. Das heißt im Klartext: Ein Hund macht häufiger Sitz, wenn es sich für ihn lohnt. Das hört sich in der Theorie relativ einfach an. Leider ist es doch mit gewissen Fehlerquellen verbunden. Diese werden dann auch gerne als Gegenargument, quasi als Berechtigung für aversive Trainingsmethoden, genommen.
Man macht sich abhängig von Leckerlis. Ohne Leckerli kein Gehorsam?
- Gegenfrage: Wer arbeitet schon gerne ohne Bezahlung?
- Gegenfrage: Was passiert wenn meine Rütteldose/Wasserflasche … nicht da ist? Mache ich mich daher nicht genauso abhängig von Hilfsmitteln?
- Außerdem: Belohnung ist mehr als nur Leckerli. Denn außer Futter gibt es noch die soziale Komponente wie Spiel, Streicheleinheiten, Lob etc., oder die Methode der Umweltbelohnung, z. B. Freilauf, Schnüffeln usw. Das entkräftet dann auch das Argument mit der Abhängigkeit von Leckerlis.
- Es gibt einen Unterschied zwischen Belohnen und Locken. Belohnt wird nach der Aktion. Der Hund weiß vorher nicht, ob er belohnt wird. Daher muss man den Hund auch nicht zwangsläufig nach jeder Aktion belohnen. Der Hund macht das Verhalten ja freiwillig, in der Hoffnung, dadurch eine Belohnung zu erhalten. Man kann belohnen, muss aber nicht, zumindest nicht immer. Anders beim Locken. Denn da zeigt man dem Hund vorher, dass er etwas bekommt. So wird der Hund auch nur eine gewünschte Aktion zeigen, wenn die Belohnung gezeigt wird. Dann ist man abhängig von Leckerlis. Aber Locken hat nichts mit Belohnen zu tun, sondern eher mit Bestechung, und eignet sich somit nicht für das Hundetraining.
Weitere Fehlerquellen?
Wird man so nicht finden. Denn selbst wenn man falsches Verhalten belohnen sollte, kann man das, anders als bei der strafenden Variante, schnell wieder rückgängig machen.
Strafe
Ein Streitpunkt im Bereich Strafe ist die negative Strafe. Eine Strafvariante, die jeder, ob bewusst oder unbewusst, mal benutzt. Aber wo beginnt diese überhaupt? Legt man das streng aus, ist nämlich schon das Locken ohne zeitnahe Gabe des Leckerlis eine Strafe. Aber aus meiner Sicht beginnt diese Strafe erst dann, wenn man auf die Konsequenz des Verhaltens einwirkt, um das Verhalten zu ändern. Ein Beispiel gefällig?
LOCKEN: Man hält dem Hund ein Leckerli vor die Nase, bis er sitzt. Er bekommt es nicht für das Stehen, Winseln, Bellen … (also Strafe?), aber wenn der Hund sitzt, bekommt er das Leckerli dafür.
Richtige negative Strafe wäre meiner Ansicht nach eher: Der Hund zeigt ein nicht angemessenes Verhalten, und daraufhin nehmen wir ihm etwas Tolles weg. Umgemünzt auf das wahre Leben wäre es in etwa so: Der Hund kommt beim Rückruf nicht zurück, also muss er an die Leine. Somit wäre die Wegnahme der Freiheit eine Strafe. Noch eindeutiger wäre, der Hund will Aufmerksamkeit und fordert diese sehr unschön ein, z. B. durch Bellen und Springen. Dann wäre eine angemessene Strafe der Entzug jeglicher Aufmerksamkeit. Das wird leider gerne als Ignorieren von Fehlverhalten missinterpretiert. Schlimmer noch: Manche Trainer sehen in dem Entzug von Aufmerksamkeit eine Methode zur Bindungsförderung. Denn indem man den Hund ignoriert, soll der Halter wichtig werden. Dadurch soll der Hund von sich aus nach Aufmerksamkeit betteln. Das ist aber nicht richtig. Denn der Entzug von Aufmerksamkeit ist eine heftige Strafe und sollte nur im äußersten Notfall durchgeführt werden. Meist wird das zeitgleich auch als Verhaltensabbruch angewandt. Auch die Dauer ist wichtig. Hier geht es maximal um 1–2 Minuten! Diese Strafe wird, wenn als Strafe richtig eingesetzt, äußerst selten benötigt. Die negative Strafe ist, wenn richtig angewandt, die Art der Strafe, die ich vertreten kann.
Fehlerquellen
- Die vermeintliche Strafe ist gar keine Strafe, sondern eine Belohnung. Wie ist das zu verstehen? Ein Hund bellt, weil er Aufmerksamkeit will. Man schließt ihn aus der Gruppe aus. Dann ist es Strafe. ABER: Ein Hund bellt, weil er sich auf dem Hundeplatz nicht wohl, aber im Auto sicher fühlt. Nun packt der Besitzer den Hund ins Auto, weil er bellt. Dann ist das keine Strafe, sondern eine Belohnung. Hier muss man vorher die Motivation des Hundes für das Fehlverhalten kennen. Sonst macht man ganz schnell Fehler.
- Übertriebene Härte. Mehr als 2 Minuten werden in keinem vernünftigen Fachbuch, selbst bei aggressivem Verhalten, empfohlen.
Jetzt kommen wir zu den beiden Möglichkeiten der Strafe, die ein normales Hundetraining nicht braucht. Selbst in der Verhaltenstherapie sind diese Formen der Strafe nicht notwendig, auch wenn einem das manchmal im Fernsehen vorgegaukelt wird.
Negative Verstärkung
Für mich eine sehr unschöne Art, um mit seinem Hund zu arbeiten. Man fügt dem Hund während der gesamten Dauer des Fehlverhaltens Schmerzen zu, bis er „freiwillig“ ein anderes Verhalten zeigt, um dem Schmerz zu entgehen. Warum ist das so unfair? Es impliziert dem Halter, der Hund ist ja selber schuld. Schließlich braucht er doch nur ein anderes „richtiges“ Verhalten zeigen. Das beruhigt das Gewissen. Richtig ist aber: Der Halter ist schuld. Denn man lässt den Hund bewusst in einen Fehler laufen, damit er sich, im besten Fall, über Schmerz selber korrigiert. Aber dazu muss man dem Hund im Vorfeld Schmerzen zufügen. Denn nur so kann man den Hund für richtiges Verhalten mit Wegnahme des Schmerzes belohnen.
Fehlerquellen
- Der Schmerz ist zu stark und steht in keiner Relation zum Auslöser. Das führt öfters zu Punkt 3.
- Der Schmerz ist zu schwach und hat keinen Einfluss auf das Verhalten. Das führt oft zu Punkt 5.
- Das Verhalten wird schlimmer, da der Hund flüchten oder sich wehren will.
- Das Verhalten wird schlimmer, da der Hund den Schmerz falsch verknüpft. Das wiederum führt zu Punkt 3.
- Es wird zu häufig eingesetzt und führt zur Gewöhnung (das ist auch eine Lernform) beim Hund.
- Es wird zu häufig eingesetzt und führt zur Gewöhnung beim Menschen.
- Es wird vom Menschen generalisiert.
Für einen professionell arbeitenden Trainer sollte das keine Option sein. Hier wird auch schon mal § 11 zur Auslegungssache. Denn es gibt leider immer noch genügend Trainer, die mit Stachel-/Würgehalsbändern oder Erziehungsgeschirren, die gezielt auf Schmerzpunkte einwirken, arbeiten. Und das oft schon bei so einfachen Sachen wie Leinenführigkeit.
Positive Strafe
Zu guter Letzt die positive Strafe. Wenigstens eine ehrliche Sache. Der Hund macht etwas, was der Halter nicht will, und dafür bekommt er vom Halter die unangenehme Konsequenz. Wenn man es richtig macht (mit der richtigen Härte, emotionslos, zum richtigen Zeitpunkt, und so, dass der Hund die Strafe mit seinem Fehlverhalten verknüpft), kann es sogar funktionieren, und der Hund weiß dann, dass das Verhalten eine unangenehme Konsequenz nach sich zieht. Seit Kurzem gibt es aber eine neue Meinung. Strafe soll nur so gemacht werden, dass der Hund keinen Bezug zum Halter herstellen kann. Das ist richtig, wenn man es im richtigen Kontext sieht. Hier geht es darum, dass der Hund die Strafe nicht mit dem Menschen verknüpft und so entweder Angst vor seinem Halter bekommt oder ein Meideverhalten zeigt. Er zeigt das falsche Verhalten nur dann nicht, wenn der Halter in der Nä- he ist, sonst aber schon. Die neue Variante, die ich meine und falsch finde, ist: Strafe soll weg vom Halter stattfinden, damit der Hund die Strafe nicht mit dem Halter verknüpft, damit der Halter toll dasteht. Also auf Entfernung z. B. mit Rappeldosen oder doch mit Strom (?). Entschuldigung, aber wie verlogen ist das denn?! Wenn man mit Schmerz, Druck, Angst oder Zwang arbeitet, dann sollte man auch dazu stehen. Sowohl in der Öffentlichkeit als auch bei seinem Hund. Ein Ferntrainer, egal ob Stromhalsband, Wurfgeschoss oder ein Tritt auf die Schleppleine, macht das Training nicht besser, nur weil die Strafe augenscheinlich nicht direkt vom Halter kommt. Auch senken solche Aussagen die Hemmschwelle, um Strafe anzuwenden. Ist ja schließlich nicht so schlimm, der Hund weiß ja nicht, dass ihm der Halter den Schmerz zugefügt hat.
Fehlerquellen
- Der Zeitpunkt ist falsch und es kommt zu Fehlverknüpfungen.
- Die Strafe ist zu hart und erschüttert das Verhältnis zum Halter. Hier zählt die Motivation des Hundes, und nicht die schlechte Laune oder der Frust des Menschen.
- Die Strafe ist zu leicht und bringt nichts. Hier zählt die Motivation des Hundes, und nicht die Stimmung des Menschen.
- Man straft nicht emotionslos und wird dadurch eher Gegner als Chef.
- Der Hund verknüpft die Strafe mit dem Menschen, was zu Angst vor dem Halter führen kann.
- Man straft zu oft.
- Man straft, ohne Alternativverhalten anzubieten.
Vergleicht man die Fehlerquellen, dürfte es sich eigentlich von selbst erklären, welche Methoden man im Hundetraining anwenden sollte. Da kommt dann schnell der Einwand: Man braucht im Zusammenleben mit dem Hund aber Regeln und auch Grenzen, und die muss man einfordern. Das ist richtig. Auch meine Hunde haben Regeln, an die sie sich halten müssen, und genauso gibt es auch Grenzen. Das kann man mit positiver Verstärkung im Vorfeld antrainieren. Genauso wie auch Abbruchkommandos oder Verhaltensunterbrecher. Denn das sind alles wichtige Sachen, sowohl im normalen Zusammenleben, im Training wie auch in der Verhaltenstherapie.
Verhaltenstherapie
Gerade in Bezug auf Verhaltenstherapie kommt meist der Einwand: Mit schwierigen Hunden müsse man etwas härter arbeiten. Die verstehen das sonst nicht. Da greift dann wieder die alte Weisheit: „Gewalt setzt da an, wo Wissen endet“. Selbst mit schwierigen Hunden kann man vernünftig arbeiten, also auch ohne Strafe. Da braucht man im Vorfeld eine genaue Verhaltensanalyse, damit man weiß, warum der Hund macht, was er macht. Dann erstellt man einen vernünftigen Trainingsplan, und los geht‘s! Ein oft gehörtes Gegenargument ist dann: Aber man kann das Fehlverhalten doch nicht ignorieren! Das stimmt, und das sagt ja auch keiner. Denn Fehlverhalten muss unterbrochen werden, damit es keinen Erfolg hat. Sonst wird es unter Umständen noch öfter gezeigt. Denn auch hier greifen die Regeln des Behaviorismus. Je nach Motivation des Hundes muss man den Hund auch mal körperaktiv blocken, um das Verhalten zu beenden. Das sollte normalerweise bei einem gut durchdachten Training und einer guten Vorbereitung eher selten passieren, aber zugegeben: Fehler passieren. Trotzdem ist ein Verhaltensabbruch keine Strafe. Der Abbruch hat nur die Beendigung des Verhaltens als Ziel. Im Gegensatz dazu möchte man ja bei der Strafe durch Verändern der Konsequenz eine Verhaltensänderung erzielen. In meinen Augen ist die Verhaltenstherapie grob genommen auch Training. Aber mit dem Unterschied, dass Training Verhalten beeinflusst und die Verhaltenstherapie das Verhalten verändert. Daher benötigt man in der Verhaltenstherapie ein tieferes Wissen, gerade in den Bereichen Verhaltensbiologie, Ethnologie, Lerntheorien, Neurobiologie und Endokrinologie. Auch gewisse medizinische Kenntnisse sollten Mindeststandard sein. Wissen über Ernährung und Nahrungsergänzungsmittel, die Körpersprache des Hundes und einen gut gefüllten Werkzeugkoffer an Arbeitsmethoden sind hier zwingend notwendig. Dann braucht man auch keine Strafen, um Verhalten ändern zu wollen.
Zum Schluss noch eine kleine Denkanregung: Strafe verändert nicht nur die Emotion bei demjenigen, der gestraft wird, sondern auch die Emotion des Strafenden. Einfach mal in sich hineinhören: Was passiert mit mir, wenn ich Strafe benutze? Sowohl kurz davor, während und nach der Strafe …
THORSTEN BEHNLE-NAPIERALA
TIERHEILPRAKTIKER, HUNDETRAINER
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