Skip to main content

Milchsäurebakterien: Wirkung auf Pferde

EINE EINSCHÄTZUNG ÜBER IHRE AUSWIRKUNG AUF DIE VERDAUUNG

Autorinnen: Dr. Birgit Schwagerick, Veterinärmedizinerin und Anne Nettersheim, M.Sc. Tierwissenschaften – EMIKO Handelsgesellschaft mbH

Nach mehrfachen Anfragen besorgter Pferdehalter kristallisiert sich eine klare Ansicht zur Fütterung von Milchsäurebakterien an Pferde heraus: „Milchsäurebakterien als Futterzusatz sind für Pferde grundsätzlich ungeeignet und sogar schädlich. Sie führen u. a. zu Magenübersäuerung und in der Folge zu Dünndarmazidosen (Störung des Säure-Basen-Haushaltes im Dünndarm)“.
Dies wäre der erste bekannte und bisher einzige Anwendungsbereich von Milchsäurebakterien bei Tieren und Pflanzen mit schädlicher Wirkung, daher soll dieser Artikel ernährungsphysiologische und mikrobiologische Fakten zu der Frage, wie sich Milchsäurebakterien im Verdauungstrakt des Pferdes verhalten, klären. Darüber hinaus wird auf die Frage eingegangen, wie Magenübersäuerungen und Dünndarmazidosen tatsächlich entstehen und welchen Einfluss schlechte Grundfutterqualität auf die Wahrnehmung hat, dass Milchsäurebakterien für Pferde schädlich sind.

WIE SIEHT ES AUS MIT DER BESTIMMBARKEIT VON MIKROORGANISMEN IM VERDAUUNGSTRAKT DES PFERDES?
WELCHE AUSSAGEN LASSEN SICH MITTELS MODERNER DIAGNOSTIK TREFFEN?

Das Mikrobiom (Gesamtheit aller Mikroorganismen im Darm) des Pferdedarms ist mittels gängiger Sequenzierungsmethoden (Gensequenzierung) nicht verwertbar zu bestimmen. Das ist nachvollziehbar, da eine Gensequenzierung auch totes organisches Material, das mit im Futter ist und schon viele Jahre alt sein kann, beinhaltet. Es entsteht ein Mischbild, das eine längere Zeitperiode und Reise verschiedenster Mikroorganismen vor der Ankunft im Pferdedarm abbildet. Das Mikrobiom, das direkt im Pferdedarm lebt und für die Gesundheit des Pferdes wichtig ist, wird sehr unscharf dargestellt.
Die direkte Anzüchtung lebender Mikroorganismen präzisiert die Aussage erheblich. Auch wenn die meisten Keime nicht differenzierbar sind, können doch die Leitkeime ein verwertbares Muster ergeben. Hiermit lässt sich eine Aussage darüber treffen, in welchem Zustand sich das Darmmikrobiom des Pferdes befindet. So gehören Milchsäurebakterien wie z.B. Lactobacillus casei und Bifidobacter zu den gesunden Leitkeimen des Pferdedarms.

WAS SIND MILCHSÄUREBAKTERIEN?
SIND SIE NÜTZLICH ODER SCHÄDLICH?

Die Bandbreite an Milchsäurebakterien ist sehr groß. Milchsäurebakterien können aggressiv und schädlich oder auch sehr nützlich sein. Sie können schnell oder langsam Milchsäure bilden, es kann rechts- oder linksdrehende Milchsäure entstehen. Unter ihnen gibt es sogar Krankheitserreger. Man muss sie also genau definieren und ihre vielseitigen Wirkweisen verstehen.
Bakterien verschiedener Gattungen können Milchsäure bilden: Bazillen, Laktobazillen, Streptokokken, Laktokokken, Enterokokken, Aerokokken, Salmonellen, Escherichia, Citrobacter, Shigella etc. Also bilden auch bekannte Krankheitserreger wie Salmonellen, Shigellen und pathogene Streptokokken Milchsäure. Schnelle Milchsäurebildner sind mitunter auch gefährlich. Sie können Azidosen (Übersäuerung) im Pansen und Darm hervorrufen. Zu diesen gehören Streptococcus equinus, bovis, infantarius und weitere verwandte Arten.
Auch innerhalb einer Gattung der bekannten erwünschten Milchsäurebildner können unerwünschte und potenziell krankmachende Bakterien vorkommen. Laktokokken gehören zu den gesundheitsfördernden, in der Hartkäseproduktion unverzichtbaren Bakterien. Sie bilden in kurzer Zeit Milchsäure und antibiotisch wirkende Stoffe, die Clostridien abtöten. Lactococcus garvieae gilt als Erreger von Fischerkrankungen und Mastitiden (Eutererkrankungen) bei Wiederkäuern. Als typischer Joghurtkeim bildet Lactobacillus bulgaricus die von Säugern schwerer verwertbare linksdrehende Milchsäure. Streptococcus thermophilus – auch ein bekannter Fermentationskeim in der Lebensmittelherstellung – produziert nur rechtsdrehende Milchsäure. Viele Milchsäurebakterien können beide Formen der Milchsäure herstellen. Die linksdrehende Milchsäure ist nicht giftig, sie wird sogar im Säugetierorganismus gebildet.
Man sollte also grundsätzlich die Arten der Milchsäurebakterien nennen und Pauschalisierungen vermeiden. Im Gegenzug sind nicht alle „Nicht-Milchsäurebildner“ schädlich, viele von diesen Gattungen gehören in ein gesundes, funktionierendes Mikrobiom.

WIE SIND MIKROORGANISMEN IM VERDAUUNGSTRAKT DES PFERDES VERTEILT?

Das Kot-Enddarm-Mikrobiom und das Mikrobiom der vorhergehenden Darmabschnitte sind unterschiedlich. Die Physiologie der Verdauung des Pferdes weist aber Gemeinsamkeiten mit anderen pflanzenfressenden Säugetieren auf. Letztendlich spiegeln die Mikroorganismen im Enddarm auch die Vorgänge in den anderen Verdauungsabschnitten wider. Eine überhöhte Stärkefütterung bzw. mangelhafte Stärkeverdauung ist sehr gut zu erkennen. Bei der Auswertung müssen Fütterung und Klinik berücksichtigt werden. Im vorderen Teil des Magens sind natürlicherweise große Mengen an Milchsäurebakterien vorhanden, die bei Veränderung des pH-Wertes durch Magensaftzufluss deaktiviert werden. Im Dünndarm entwickelt sich das spezifische Mikrobiom weiter und enthält dann zunehmend Streptokokken und Escherichia-coli-Bakterien. In den großen Fermentern des Pferdedarms, Blinddarm und Dickdarm, steigt die Keimzahl um ein Vielfaches an. Hier sind zusätzlich anaerobe Keime wie Enterobakterien, Bazillen und Clostridien zu finden. Diese Zusammensetzung findet sich auch in den Vormägen von Wiederkäuern.

WIE FUNKTIONIERT DIE VERDAUUNG DES PFERDES IM HINBLICK AUF MILCHSÄUREBAKTERIEN?

Das Pferd nimmt mit den Pflanzenteilen aus dem Futter Milchsäurebakterien auf.
Nach eigenen Untersuchungen wachsen Milchsäurebakterien der Arten Lactobacillus buchneri, paracasei, plantarum und rhamnosus auf unbehandelten, gesunden Grasblättern. Sie sind Teil des Biofilms des Grasblattes. Bei der Silierung vermehren sie sich und bilden Milchsäure. Frisches, gesundes Gras enthält also die gleichen Milchsäurebakterienarten wie eine spätere Silage, natürlich aber weniger Milchsäure bei geringerer Keimzahl. In der Silage werden von den Laktobazillen Milchsäuren im sauerstoffarmen (anaeroben) Milieu gebildet. Der Sauerstoffmangel in Kombination mit der Milchsäure verhindert das Wachstum von Schadkeimen wie Schimmelpilzen, Hefen und Clostridien. Vor allem Clostridien können nicht nur beim Pferd schwerwiegende Darmentzündungen (z.B. Koliken, Blinddarm- und Dickdarmentzündungen) hervorrufen. Die Laktobazillen stellen sowohl in der Silage als auch im Darm die wichtigsten Kontrahenten zu den Clostridien dar. Laktobazillen sind in pH-Werten unter 4 und über 7 inaktiv. Das bedeutet, dass sie die alkalische Maulhöhle, den sehr sauren Drüsenteil des Magens (pH 2 – 4) und den alkalischen Zwölffingerdarm „schlafend“ durchwandern und dort keine Milchsäure bilden.
Im drüsenlosen oberen Magenabschnitt können Milchsäurebakterien eher wachsen und Säure bilden. Hier bestimmt die Futterart das Tempo der Säureproduktion. Bei rauem Futter muss das Pferd länger kauen und es wird doppelt so viel puffernder Speichel (Bikarbonat) abgeschluckt. Im Magen wird das locker strukturierte Futter schnell mit Magensäure durchsetzt. Die verschiedenen Milchsäurebakterien, also auch die Laktobazillen, bleiben dann eher inaktiv durch den absinkenden pH-Wert.

WAS FÜHRT ZU PROBLEMEN?

Strukturarmes, stärkereiches Kraftfutter wird sehr schnell geschluckt, verklebt dann und enthält wenig Speichel. Der Magen versucht, die schwierige Durchsaftung des „Mehlkloßes“ durch erhöhte Säureproduktion zu kompensieren. Andererseits gibt es eine starke Vermehrung der Milchsäurebildner im Stärkebrei. Hier sind die schnellen Streptokokken am Werk, die in kurzer Zeit große Mengen an Milchsäure bilden. Übrigens werden dann auch flüchtige Fettsäuren und Gase von anderen Bakterien vermehrt gebildet. Es kann zu Magenübersäuerung und -blähungen kommen.
Silage wird weniger gekaut als Heu oder hartes Gras, jedoch mehr als Kraftfutter. Je nach Qualität bringt sie zusätzlich Säuren in den Magen. Deswegen sollte eine Silage für Pferde eine trockene, wenig saure, strukturreiche Heulage mit hohem Zelluloseanteil sein und keine feuchte, zuckerreiche und stark saure Grassilage. Der Nachteil der Heulagen liegt in ihrer schwierigen Verdichtung. Bei zu hohem Sauerstoffgehalt nach dem Pressen können Hefen und Schimmelpilze wachsen, die, von Alkohol- und Mykotoxinbildung abgesehen, vor allem allergische Reaktionen beim Pferd auslösen. Wenn aber gut milchsauer fermentierte und von Clostridien, Hefen und Schimmelpilzen weitgehend freie, strukturreiche Heulage gefüttert wird, harmonieren Laktobazillen, Milchsäure und Magen-Darm-Trakt des Pferdes in gesunder Weise.
Die Milchsäurebakterien „wachen“ bei ausgewogener Fütterung eines gesunden Pferdes erst in Blinddarm und Dickdarm wieder auf und bilden neben der Milchsäure weitere wichtige Nährstoffe fürs Pferd. Das Pferd ist im Gegensatz zum Rind ein Enddarmfermentierer. Es ist als reiner Pflanzenfresser mit kleinem Magen auf ein ausgewogenes Mikrobiom inkl. der Milchsäurebakterien im Dickdarm angewiesen.

WIE ENTSTEHEN MAGENÜBERSÄUERUNG UND DÜNNDARMAZIDOSE?

Eine Magenübersäuerung mit nachfolgender Dünndarmazidose setzt eine Fehlfütterung oder eine Erkrankung voraus. Eine Erkrankung kann z.B. durch eine Einschränkung der Kauaktivität und mangelnde Einspeichelung des Futters bei Zahn- oder Speicheldrüsenerkrankungen entstehen. So könnte eine Sarkoidose den Speicheltransport ins Maul behindern. Eine Zahnfistel schmerzt und schränkt das Kauen stark ein. Die Fehlfütterung besteht häufig in zu hohen bzw. Einzel-Getreidegaben oder in falscher Reihenfolge der Fütterung. All dies führt zu verstärkter Magensäureproduktion und/oder mangelnder Pufferung durch den alkalischen Speichel. Auch Stress beeinflusst die Magensäurebildung. Am häufigsten leiden Turnierpferde an Magenübersäuerung und Geschwürbildung, da sich erhöhte Kraftfuttergaben und Stress summieren.

WAS IST EIN PROBIOTIKUM? WIE WIRKT ES?

Ein Probiotikum enthält „lebende, nichtpathogene Mikroorganismen, die – in ausreichender Zahl verabreicht – einen präventiven oder therapeutischen Effekt auf den Makroorganismus haben, ihm also einen gesundheitlichen Nutzen bringen“ (FAO/WHO 2001). Neuerdings werden auch nichtlebende Mikroorganismen einbezogen, da sie gleiche Wirkungen aufweisen. Ein Beispiel wäre getrocknete Bäckerhefe (Saccharomyces cerevisiae).
Probiotika müssen genauso wie Milchsäurebakterien differenziert betrachtet werden. Ihre qualitative und quantitative Zusammensetzung variiert erheblich, ebenso ihre Wirkung. Wertende Aussagen sollten nicht pauschal erfolgen.

FAZIT

Es bestehen keine Hinweise darauf, dass ein Pferd die Fütterung von Milchsäure bzw. probiotischen Milchsäurebakterien nicht verträgt. Die verbreitete Annahme, Pferde würden anhand von gefütterten Milchsäurebakterien wie Laktobazillen bzw. Milchsäure (in geringen Dosen) an Magen- und nachfolgender Dünndarmübersäuerung leiden, kann aus ernährungsphysiologischer Sicht nicht bestätigt werden. Es scheint eine Verwechslung mit der Genese von Magenübersäuerung und Dünndarmazidosen infolge von Erkrankungen und stark verbreiteter falscher Fütterung inkl. mangelhafter Grundfutterqualitäten vorzuliegen.
Man kann festhalten, dass Milchsäure/ Milchsäurebakterien zu einem gesunden Verdauungstrakt des Pferdes gehören und natürlicherweise über das Futter aufgenommen werden. Milchsäurebakterien müssen differenziert werden. Nicht jede Art ist in großer Menge nützlich. Die nützlichen Arten wachsen nicht uneingeschränkt in jedem Teil des Verdauungstraktes. Pauschalurteile sind auch hier mit Vorsicht zu betrachten.

Eine Literaturliste zu diesen Ausführungen kann in der Redaktion angefragt werden.

Fotos: © Sonja E – Adobe, A. Shmakova – Adobe, Sensvector – Adobe, Geuten – Adobe, VectorMine – Adobe, V. Schädler