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Serie: Trauma beim Hund - Posttraumatische Belastungsstörung

TEIL 1

Definitionsgemäß ist eine Posttraumatische Belastungsstörung eine verzögerte psychische Reaktion auf ein extrem belastendes, traumatisches, meist lebensbedrohliches Ereignis.

KLASSIFIKATION

Die internationale Klassifikation Psychischer Störungen der Weltgesundheitsorganisation (ICD-10) stellt folgende Anforderungen an die Diagnose einer Posttraumatischen Belastungsstörung:

  • Es bestand ein traumatisches Erlebnis, das als eindeutige Ursache für die Verhaltensänderung angesehen werden kann.
  • Das Trauma wird unwillkürlich plötzlich wieder erlebt. Man spricht von Intrusionen, die den Betroffenen sehr belasten.
  • Ein eindeutiges Vermeidungsverhalten und ein emotionaler Taubheitszustand sind erkennbar.
  • Es besteht eine anhaltende physiologische Übererregung, das sog. Hyperarousal.
  • Die Symptome dauern länger als 1 Monat an.

ÜBERTRAGUNG AUF DEN HUND

Übertragen auf den Hund bedeutet das, dass er nach einem einschneidenden Erlebnis plötzlich nicht mehr „der Alte“ ist. Zwar kann man einen Hund nicht fragen, ob und in welchen Situationen er von Erinnerungen an das traumatische Erlebnis heimgesucht wird, ob er davon träumt etc. Aber man kann durch intensives Beobachten erkennen, dass er zu bestimmten Zeiten plötzlich anfängt zu zittern, nicht mehr weitergehen möchte, zu fliehen versucht etc., ohne dass für den Menschen ein erkennbarer Grund vorhanden ist. Häufig ist es auch so, dass der Hund sich weigert, das Haus zu verlassen, bestimmte Plätze zu betreten, bestimmte Straßen oder Wege entlangzulaufen oder sich bestimmten Personen oder Gegenständen zu nähern. Die physiologische Übererregung zeigt sich dadurch, dass der Hund nicht mehr wirklich zur Ruhe kommt und auch zu Hause nicht mehr tief zu schlafen scheint. Auf Spaziergängen wird häufig ständig die Umgebung beobachtet, denn hinter jedem Baum oder jeder Hecke könnte eine Gefahr lauern. Man spricht hier auch von Hypervigilanz. Wurde ein Hund sehr schwer traumatisiert, verliert er oft das Interesse an Dingen, die er bis dahin sehr gerne mochte, z.B. das Spiel mit einem Ball, Körperkontakt zu seinem Menschen, ausgiebiges Schnüffeln etc. Es ist in sehr dramatischen Fällen, in denen z.B. ein Hund aus einer Tötungsstation oder von einem Hundevermehrer übernommen wird, auch manchmal so, dass der Hund wie taub wirkt. Das bedeutet, er lässt sich zwar streicheln, man kann aber keinerlei Reaktion darauf erkennen, der Hund starrt einfach ins Leere vor sich hin, ohne sich zu wehren oder den Kontakt zu genießen.

RISIKOFAKTOREN FÜR DIE ENTSTEHUNG EINER POSTTRAUMATISCHEN BELASTUNGSSTÖRUNG

Jeder Hund ist anders und hat seine individuelle Persönlichkeit und Vorgeschichte, damit auch eigene Bewältigungsstrategien für verschiedene Situationen. Von mehreren Hunden, die derselben Belastung ausgesetzt sind, müssen nicht zwangsläufig alle traumabedingte Folgestörungen oder eine Posttraumatische Belastungsstörung entwickeln. Hier spielt das Diathese-Stress-Modell eine wichtige Rolle.

PSYCHISCHE FOLGEN VON STRESS UND DAS DIATHESE-STRESS-MODELL

Dieses Modell, auch Vulnerabilitäts-Stress-Modell genannt, besteht aus folgenden Komponenten:

Verursachende Bedingungen

Hierunter versteht man die Wahrscheinlichkeit, dass ein bestimmtes Individuum an einer psychischen Störung erkrankt bzw. in bestimmten Situationen anfällig für Stress ist oder nicht. Wesentliche Faktoren sind:

  • genetische Disposition
  • Persönlichkeits- und Charaktereigenschaften
  • individuelle bisherige Erfahrungen und Erlebnisse

Auslösende Faktoren

Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Individuum in ähnlichen Situationen mit Stress reagiert, werden durch folgende Faktoren begünstigt:

  • organische Krankheiten
  • schlechte Haltungs- und Lebensbedingungen
  • dauerhafte Anwesenheit von Stressoren

Aufrechterhaltende Faktoren

Hat das Individuum für sich eine Möglichkeit gefunden, mit der Stress auslösenden Situation umzugehen, indem es z.B. wegläuft, kann es nicht lernen, dass es auch andere Bewältigungsmöglichkeiten gibt und dass die Situation gar nicht so schlimm ist, wie sie auf den ersten Blick erscheint.
Bestimmte Stressoren, die immer und bei jedem Individuum eine Stressreaktion auslösen, gibt es nicht. Ob jemand einen Stressor als solchen empfindet bzw. wie stark er davon beeinträchtigt wird, hängt von vielen persönlichen Faktoren ab. Was für das eine Individuum eine Katastrophe ist, ist für ein anderes nicht mal ein Augenzucken wert.

Hier spielen Bewältigungsstrategien – sog. Coping-Strategien – eine wichtige Rolle:

  • individuelle Bewertung der Situation
  • Hat das Individuum das Gefühl, eine Situation bewältigen zu können, ihr „gewachsen zu sein“, wird sie sehr viel weniger stressig und belastend erlebt
  • individuelle Erwartungen
  • individuelle Bedürfnisse, damit der Organismus zwar herausgefordert, aber nicht überfordert wird

Einige Individuen suchen ständig nach neuen Herausforderungen, andere fühlen sich am wohlsten, wenn sie sicher sind, dass ihnen nichts passieren kann.

RISIKOFAKTOREN FÜR DIE ENTWICKLUNG VON FOLGESTÖRUNGEN

  • geringes Selbstbewusstsein
  • sehr introvertierter Charakter
  • bestehende körperliche Krankheiten
  • früher erlebte Traumata/schlimme Erfahrungen
  • häufige Halterwechsel
  • gestörte Bindung zum Halter bzw. Menschen
  • keine oder mangelnde Unterstützung des Menschen
  • ungünstige Haltungsbedingungen
  • anderweitige Stressfaktoren
  • Das traumatische Erlebnis dauerte sehr lange an oder hat sich mehrmals wiederholt
  • Der Hund wird von seinem Menschen oder einem bekannten und befreundeten Hund/Tier angegriffen
  • Das traumatische Erlebnis findet während der ersten Lebenstage oder -wochen statt
  • Der Hund hatte nach dem traumatischen Erlebnis niemanden, der ihm geholfen und Sicherheit gegeben hat

Besonders schlimm sind die Folgen, wenn die eigene Mutterhündin oder der Halter den Hund schwer misshandelt, regelmäßig viel zu hart bestraft, ständig isoliert hält, den Hund ignoriert oder ihm das Gefühl gibt, nicht erwünscht zu sein. Der Hund ist hier in einer gefährlichen Zwickmühle, denn er ist existenziell auf seinen Menschen bzw. während der ersten Lebenswochen auf seine Mutter angewiesen. Er hat also niemals das Gefühl, dass er sich jederzeit an seinen Menschen wenden kann, wenn er Hilfe braucht und von diesem in jeder Situation geschützt wird, sondern steht vollkommen allein da mit seiner Angst und ist den Misshandlungen durch den Menschen wehrlos ausgeliefert. Häufig führt das dazu, dass der Hund ein immer stärkeres Beschwichtigungsverhalten zeigt, das vom Menschen als Ungehorsam empfunden und wieder bestraft wird.

SCHUTZFAKTOREN

Ist ein Hund sicher an seinen Menschen gebunden, führt er ein glückliches, artgerechtes Leben und empfindet seinen Menschen als „Fürsorgegarant“, der ihn liebt und ihm ein verlässlicher Sozialpartner ist. So kann er auch schlimme Erfahrungen leichter verarbeiten.

Weitere Schutzfaktoren sind:

  • sehr ausgeprägtes Selbstbewusstsein
  • extrovertiertes, neugieriges Wesen
  • große Reizschwelle und Stresstoleranz
  • viele positive Erfahrungen, dadurch ein großes Repertoire an Bewältigungsmöglichkeiten für verschiedenste Situationen

Ein Hund, der seine Bedürfnisse erfüllen kann und konsequent, aber liebevoll erzogen wird, verliert nicht so schnell die Kontrolle über sich, da er die Folgen seiner Verhaltensweisen kennt, damit auch bewusst beeinflussen kann, wann und wie häufig er gelobt und belohnt wird.

ALEXANDRA HOFFMANN
HEILPRAKTIKERIN FÜR PSYCHOTHERAPIE

TÄTIGKEITSSCHWERPUNKTE
Bach-Blütentherapie, Homöopathie, Tier- und Humanpsychologie, Dozentin an den Paracelsus Schulen

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Fotos: © S. Bouchard – Adobe, © P. Thauwald-pictures – Adobe