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Serie Pferdernährung: Kraftfutter - Ein Kann oder ein Muss?

Die bedarfsabhängige Ergänzung zum unverzichtbaren Grundfutter ist in der Pferdefütterung das „Kraftfutter“. Was verbirgt sich dahinter und wie finde ich das Richtige? Der Begriff Kraftfutter stammt ursprünglich aus einer Einteilung der Futtermittel in Grund-, Saft- und Kraftfutter. Neben den bekannten Grundfuttermitteln sind mit den Saftfuttern z. B. Möhren und Rüben gemeint, mit Kraftfutter verschiedene Getreide, die in der Pferdefütterung traditionell verwendet werden. Heute sind in der Reiterwelt mit Kraftfutter allgemein ziemlich alle Futtermittel gemeint, die nicht Grund- oder reines Mineralfutter sind. Wissenschaftlich und futtermittelrechtlich betrachtet gibt es diesen Begriff nicht – hier wird in Einzel- und Mischfutter mit Untergruppen eingeteilt, die die Futtermittel beschreiben (z. B. Grünfutter, Getreide, energiehaltiges Mischfutter).

AM BEDARF ORIENTIERT

In einem natürlichen Lebensraum nehmen Pferde fast ausschließlich Grundfutter auf und können damit meist ihren Bedarf decken. Mit der Nutzung als Arbeits- und Lasttier kam eine teilweise deutliche Steigerung des Bedarfs an Energie, Eiweiß und Vitalstoffen hinzu. Da selbst beim Dauerfresser Pferd die tägliche Futteraufnahmemenge begrenzt ist, musste der Mensch für Ausgleich sorgen – daher erklärt sich wohl der landläufige Begriff „Kraftfutter“. Neben den bereits angesprochenen Saftfuttern kam Getreide, und hier insbesondere der Hafer, zum Einsatz. Da Pferde heute keine Arbeitstiere mehr sind, sondern Freizeit- und Sportpartner mit ganz unterschiedlichem Leistungsniveau, muss die Frage nach dem Einsatz von Kraftfutter differenzierter betrachtet werden. Der Markt an Futtermitteln für Pferde ist inzwischen riesengroß, und die Hersteller bieten für beinahe jeden Lebensabschnitt, Gesundheitszustand und Einsatzbereich, sogar rassespezifisch angepasste Kraftfutter an. Hier kann man schon einmal schnell den Überblick verlieren!

DER KLASSIKER: HAFER

Hafer hat einen hohen Spelzenanteil und damit einen hohen Rohfaseranteil, was die Kautätigkeit anregt und für eine gute Verdaulichkeit sorgt. Bei moderatem Eiweißgehalt verfügt der Hafer über einen hohen Energiegehalt und ein günstiges Fettsäuremuster. Große, runde Körner enthalten meist mehr Energie und weniger Eiweiß. Hafer wird von Pferden grundsätzlich sehr gern gefressen. Wenn ein Pferd über gesunde Zähne verfügt, kann und sollte der Hafer am besten im Ganzen verfüttert werden. Quetschen oder Schroten mindert die Haltbarkeit und empfiehlt sich nur bei eingeschränkter Kauffähigkeit, z.B. für Jungpferde oder ältere Tiere.
Hafer hat ein enges Kalzium-Phosphor-Verhältnis, enthält also bei einem geringen Kalziumgehalt einen vergleichsweisen hohen Anteil an Phosphor. Dies sollte beim Einsatz größerer Hafermengen über andere Futtermittel gezielt ausgeglichen werden.
Zu Unrecht wird der Hafer in den letzten Jahren immer mal wieder verteufelt. Hafer ist gut verdaulich und ein für nicht stoffwechselerkrankte Pferde sehr gutes Kraftfutter – vorausgesetzt, das Pferd bringt entsprechende Leistung und benötigt diese hohe Energiedichte. Bei den meisten Freizeitpferden ist dies sicherlich nicht der Fall, sodass man hier nicht unbedingt Hafer einsetzen sollte. Für Sport- und Arbeitspferde ist er als Klassiker nach wie vor eine gute Wahl. Andere Getreidesorten sind aufgrund der Züchtung auf gute Backqualitäten und die damit verbundenen hohen Anteile an Klebereiweißen für die Pferdefütterung nur bedingt oder gar nicht geeignet. Dies betrifft insbesondere die modernen Weizensorten. Dinkel ist dem Hafer recht ähnlich und kann im Austausch eingesetzt werden. Gerste hat einen höheren Energiegehalt als Hafer und kann im Tauschverhältnis 0,8 – 0,9 kg Gerste statt 1 kg Hafer eingesetzt werden. Allerdings sollten Gerstenkörner vor der Verfütterung thermisch behandelt werden, da die Verdaulichkeit im Rohzustand schlechter ist als bei Haferkörnern und die Entstehung von Verdauungsstörungen dadurch gefördert werden kann.
Maiskörner haben zwar einen hohen Energie- und einen niedrigen Eiweißgehalt, die enthaltene Stärke ist aber für Pferde in unbehandeltem Zustand kaum verdaulich. Daher muss Mais vor der Verfütterung wärmebehandelt werden. Da das Stärkeaufnahmevermögen des Verdauungstraktes beim Pferd begrenzt ist, sollte Mais nur in Mengen von 0,16 kg/100 kg LM Pferd pro Mahlzeit verfüttert werden (Coenen, Vervuert; 2020). Zum Auffüttern unterernährter Pferde oder als energetische Aufwertung von Mischfutter eignen sich wärmebehandelte Maisflocken.

DER KLASSIKER 2.0: HAFER & PELLETS

Mit der Entwicklung verschiedener Mischfuttermittel – zumeist in Pelletform – konnte die klassische Haferfütterung optimiert werden. Das ungünstige Kalzium-Phosphor-Verhältnis und der für einige Pferde zu hohe Energiegehalt wurden durch angepasste Mischfutter ausgeglichen. Die Ration „Hafer & Pellets“, die es seit den 1950er-Jahren gibt, zählt heute schon zur traditionellen Kraftfutterfütterung. Zur Ergänzung einer Getreidefütterung wird in den meisten Ställen ein bereits mineralisiertes und vitaminisiertes Mischfutter gefüttert. Dies hat den Vorteil, dass nicht noch zusätzlich Mineralfutter gegeben werden muss, allerdings den Nachteil, dass die Mineralisierung und die Vitaminisierung nicht individuell angepasst werden können.

DIE ALTERNATIVE: MÜSLIFUTTER

Das Mischfutter in der traditionellen Pelletform bekam in den 1980er-Jahren Konkurrenz: Müslifutter für Pferde kam auf den Markt. Mit dem Begriff „Müsli“ trafen die Futtermittelhersteller den Nerv der Pferdehalter, die sich natürliches, gesundes Futter für ihre Pferde wünschten. Müsli besteht oft aus ähnlichen oder gleichen Zutaten wie Pellets, die verwendeten Rohmaterialen werden aber weniger zerkleinert, sodass die Inhaltsstoffe optisch gut erkennbar sind. Durch die geringere Zerkleinerung wird die Kautätigkeit beim Pferd angeregt, was sich positiv auf die Verdauungsvorgänge auswirkt. Die Herstellung von Müslifutter ist aufwendiger als die Herstellung von Pellets, da jede Komponente einzeln bearbeitet werden muss (z.B. thermisch aufgeschlossen, getrocknet) und sich so viele Bearbeitungsschritte summieren. In der Gesamtheit betrachtet, ist der Verarbeitungsgrad der Komponenten bei Müslifutter aber geringer als beim Pellet. Bei diesem werden alle Komponenten gehäckselt, vermischt, gemeinsam erhitzt und in die Pelletform gepresst. Müslifutter ist daher meist teurer als pelletiertes Mischfutter. Pellets sind aufgrund ihrer Gleichförmigkeit und des hohen Trockensubstanzgehaltes besser lagerfähig und weniger anfällig für Schimmel- oder Bakterienbefall. Zudem können sich die enthaltenen Rohstoffe nicht entmischen, und in jeder entnommenen Futterschaufel finden sich die gleichen Inhaltsstoffe. Da Müsli aus verschieden schweren Bestandteilen zusammengesetzt ist, kann es bei Transport und Lagerung zu Entmischungen kommen.
Sowohl Müslis wie auch Pellets werden von Pferden gern gefressen, beim Müsli können sie eher selektieren und ggf. einige Komponenten verschmähen, was sie bei Pellets nicht können. Aufgrund des sehr hohen Verarbeitungsgrades von Pellets entspricht diese Mischfutterform nur bedingt einer naturnahen Fütterung.

DIE NEWCOMER: GETREIDEFREI, EIWEISS-ARM/-REICH, ZUCKERREDUZIERT & CO.

Mit der Zunahme von Stoffwechselerkrankungen bei Pferden – meist Zivilisationserkrankungen – war es notwendig, die Futtermittel entsprechend anzupassen. Erkrankungen wie EMS (Equines Metabolisches Syndrom), Insulinresistenz oder Hufrehe sind in den meisten Fällen Folge von Übergewicht. Dieses entsteht durch haltungsbedingten Bewegungsmangel, gepaart mit einer zu energiereichen Fütterung. Dann ist es notwendig, die Energiezufuhr zu verringern. Da Getreide sehr energiereich ist, ist der Verzicht darauf bei betroffenen Pferden durchaus sinnvoll.
Eine getreidefreie und zuckerarme Fütterung ist außerdem bei Pferden, die von PSSM (Polysaccharid-Speicher-Myopathie) Typ 1 oder 2 betroffen sind, absolut notwendig. Bei dieser genetisch bedingten Erkrankung kommt es zur übermäßigen Speicherung von Glykogen in der Muskulatur, was zu Schmerzen, Lahmheiten und geringer Belastbarkeit führt. Die gefürchtete Hufrehe wird, wie man heute weiß, nicht oder nicht ausschließlich durch zu hohe Eiweißgehalte im Futter, sondern durch bestimmte Zuckerarten (Fructane) und Stoffwechselbelastungen ausgelöst. Bei Pferden, die zu Hufrehe neigen, ist daher eine restriktive Fütterung hinsichtlich Energie, Zucker und Eiweiß sinnvoll.
Mit dem Verzicht auf Getreide im Kraftfutter geht auch eine deutliche Eiweißreduzierung in der Ration einher, die durch andere hochverdauliche Eiweiße ersetzt werden müssen. Für Pferde ist nicht die absolut im Futter enthaltene Eiweißmenge ernährungsphysiologisch von Bedeutung, sondern der Anteil des im Dünndarm verdaulichen Eiweißes. Eiweiße, die im Dickdarm ankommen, müssen aufwendig abgebaut werden und stehen nicht zur Eiweißversorgung zur Verfügung. Ob tatsächlich die vielfach angebotenen Eiweißfuttermittel, die hauptsächlich aus Aminosäuren bestehen, eingesetzt werden müssen, sollte durch eine individuelle Rationsberechnung bestimmt werden.
Je nach Zusammensetzung der Gesamtration und der Fütterungstechnik kann ein zu großer Getreideanteil das Darmmilieu negativ beeinflussen – auch dies ist ein Argument für den Verzicht auf Getreide und ungesunde hohe Zuckeranteile im Kraftfutter.
In den letzten Jahren ist der Einsatz dieser neuen Spezialfutter zum Trend geworden, auch bei gesunden Pferden. Pferdehalter sollten für jedes Pferd individuell entscheiden, ob dies notwendig und sinnvoll ist.

DAS I-TÜPFELCHEN: MASH

Wie wäre es denn mal mit einer warmen Mahlzeit fürs Pferd? Das altbewährte Kraftfutter mit der Bezeichnung „Mash“ wird von fast allen Pferden geliebt! Mash bezeichnet eine Mischung, die mit warmem Wasser aufgegossen, eingeweicht und warm verfüttert wird. Für Mash gibt es unzählige Geheimrezepte, manche Pferdehalter mischen es komplett selbst an. Die Futtermittelhersteller stellen heute aber eine Vielzahl von Mischungen her, die nur noch aufgegossen werden müssen. Durch spezielle Bearbeitungsverfahren hat sich auch die notwendige Einweichzeit deutlich verkürzt und das besondere Futter ist in 15 – 20 Minuten einsatzbereit. Traditionell hat Mash einen hohen Getreideanteil und wird mit Weizenkleie versetzt. Diese kann sich positiv auf die Verdauung auswirken und nach Koliken und Wurmkuren sehr hilfreich sein. Aufgrund des hohen Energiegehaltes und der durch die Weizenanteile möglichen negativen Beeinflussung des Darmmilieus sollte klassisches Mash nur 1 – 3 x pro Woche verfüttert werden. Moderne Mash-Fertigmischungen enthalten teilweise kein Getreide und keine Getreidenebenprodukte wie z.B. Kleie, sie können täglich verfüttert werden.

„KRAFT“ KLINGT GUT – ABER BRAUCHT WIRKLICH JEDES PFERD KRAFTFUTTER?

Die meisten heutigen Freizeitpferde benötigen sicher kein klassisches Kraftfutter in größeren Mengen. Eine ausreichende Versorgung mit hochwertigem Grundfutter und einem abgestimmten Mineralfutter reicht zur Bedarfsdeckung völlig aus. Wenn trotzdem gerne, z.B. nach dem Reiten, ein Belohnungsfutter gegeben werden soll, lohnt sich der Blick auf die große Palette der energiereduzierten Mischfutter. Aber auch eine kleine Menge reiner Hafer ist für ein gesundes Pferd in Ordnung.
Sport-, Arbeits- und Zuchtpferde benötigen viel Energie und Eiweiß, dieser Bedarf ist meist nicht ausschließlich über Grundfutter zu decken, sodass die Gabe von Kraftfutter hier notwendig und sinnvoll ist.
Wenn es aus medizinischen Gründen notwendig ist, auf bestimmte Inhaltsstoffe zu verzichten, sollte man sich auch bei der Kraftfutterauswahl daran orientieren. Bei gesunden Pferden, die leichte bis mittlere Leistung erbringen, ist der Pferdehalter in der Auswahl relativ frei und sollte diese auch von der Verträglichkeit und Akzeptanz des Futters seitens des Pferdes abhängig machen.
Wichtig für die Entscheidung, welches Kraftfutter ein Pferd bekommen soll, sind auch Kenntnisse über die Qualität des Grundfutters. Eine Analyse kann Aufschluss über die enthaltenen Inhaltsstoffe und die eventuell notwendigen Ergänzungen einzelner Nähr- und Vitalstoffe geben.
Empfehlenswert ist es, regelmäßig das Gewicht des Pferdes zu kontrollieren und die Futterauswahl und -menge daran zu orientieren. Ebenso regelmäßig ist eine Rationsberechnung sinnvoll, um etwaige Inbalancen auszugleichen und die Ration individuell an den Bedarf anzupassen. Ernährungsberater für Pferde und spezialisierte Tierheilpraktiker sind hierfür die richtigen Ansprechpartner.

ANNETTE BARZ
DIPL.-AGRARINGENIEURIN
TIERHEILPRAKTIKERIN

TÄTIGKEITSSCHWERPUNKTE
Pferdehaltung, Ernährungsberatung für Pferde, Studienleiterin der Paracelsus Schule Leipzig

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