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Reizstromtherapie beim Kaninchen

Bei der Reizstromtherapie handelt es sich um eine Art Elektrotherapie, die mit Gleichstrom arbeitet. Sie eignet sich zum Aufbau von Muskeln und zur Nervenstimulation nach Unfällen, Lähmungen durch Wirbelsäulenverletzungen (Bandscheibenvorfälle), Verletzungen der Rückenmarksnerven, Hüftgelenksarthrosen, Durchblutungsstörungen, bei akuten und chronischen Schmerzen.

DIE ELEKTROTHERAPIE LÄSST SICH IN ZWEI KATEGORIEN UNTERTEILEN

  • Niederfrequenz- oder Reizstromtherapie
  • Hochfrequenz- oder Wärmetherapie

Die Reizstromtherapie darf nicht angewandt werden bei Tieren mit Herzerkrankungen (Herzrhythmusstörungen), Epilepsie, Hauterkrankungen, malignen Tumoren und trächtigen Tieren, da der Reizstrom eine Frühgeburt bzw. einen Abort (Abgang) auslösen könnte.
Die Reizstromtherapie gilt als nebenwirkungsarm. Bei zu intensiver und zu langer Anwendung kann die Behandlung Schmerzen jedoch verstärken. In wenigen Fällen können auch Hautveränderungen durch die Elektroden oder das Kontaktspray auftreten (die zu behandelnden Stellen werden vorher abrasiert, um die Elektroden direkt auf der Haut anzubringen). Kontaktspray dient der besseren Leitung des Stroms. Auch können Muskelschmerzen („Muskelkater“) bei zu hoher Muskelstimulation auftreten.
Das Anbringen der Elektroden erfolgt direkt über dem zu behandelnden/schmerzenden Bereich bzw. in dessen unmittelbarer Umgebung.

FALLBEISPIEL IDA

Ida ist eine unserer vier Deutschen Riesen und gerade mal 5 Monate alt. Unsere Riesenkaninchen bewohnen zusammen mit zwei Zwergkaninchen ein 25 m2 großes Kaninchenzimmer mit freiem Zugang zu Küche und Flur.
Wir fanden Ida morgens fast unbeweglich liegend im Kaninchenzimmer. Lediglich mit den Vorderläufen konnte die kleine Riesin noch etwas „voranrobben“. Idas Hinterläufe waren gelähmt. Die genaue Ursache konnten wir nicht ermitteln. Möglich war, dass sie von einem der Holzhäuschen gefallen ist, von einem ihrer Kaninchen-Kumpel überrannt oder zu stark angerempelt wurde oder dass sie aufgrund einer Klärung der Rangordnung „berammelt“ worden ist.
Wir haben Ida per Hand aufgezogen, da ihre Mutter kurz nach ihrer Geburt einem Fuchs zum Opfer fiel. Durch diese Handaufzucht hat Ida einige körperliche Defizite: Sie hinkt ihrem Wachstum hinterher und ist eher kleinwüchsig. Zudem hat sie sehr spät ihr eigentliches Fell entwickelt. Mit einem halben Jahr hatte sie immer noch nur einen flusigen, grauen Flaum anstatt ihres eigentlichen wildfarbenen „Deckmantels“. Die wertvollen Nährstoffe, wie sie nur in der Muttermilch zu finden sind, fehlten Ida gänzlich.
Ida ist jedoch das freundlichste und zutraulichste Kaninchen, das je bei uns gelebt hat. Sie ist auch in der Gruppe mit jedem Freund und wird von ihren Kaninchen-Kumpeln wie ein rohes Ei, wie eine kleine Prinzessin behandelt. Sie ist ein sehr soziales Tier, jeder mag sie.
Die kleine Riesin wurde von uns umgehend nach ihrem Auffinden unserem Tierarzt vorgestellt. Die neurologischen Tests zeigten Reflexe in beiden Hinterläufen. Von einem Röntgenbild sahen wir ab, da das Risiko zu hoch war, dass Ida durch eine wehrhafte Bewegung ihren Zustand noch verschlimmert.
Zuhause wurde sie in einem separaten Gehege untergebracht, um ihren Bewegungsradius zu verkleinern. Neben Schmerzmittel (Melosus) und Vitamin-B-Komplex zur Regeneration der Nerven bekam sie Discus compositum ad us. vet., das u.a. bei Erkrankungen des Bewegungsapparates angewandt wird. Discus compositum wurde ihr täglich über das Trinkwasser verabreicht.
Vier Injektionen im wöchentlichen Abstand mit Cartrophen (Pentosanpolysulfat), um einer beginnenden Arthrose vorzubeugen, gehörten ebenfalls zu Idas Therapieplan.

Anfänglich versuchten wir, sie noch mit Magnetfeldtherapie und Wärmebehandlung wieder auf die Pfoten zu stellen. Dies war bis zu einem gewissen Grad hilfreich, dennoch nicht ausreichend, um ihre Bewegung wieder vollständig herzustellen.
Da die Riesin noch jung war und somit gute Chancen für eine Regeneration bestanden, entschlossen wir uns, gemeinsam mit unserem Tierarzt die Reizstromtherapie zu versuchen. Unser Tierarzt zeigte uns die genauen Stellen, an denen wir die Elektroden ansetzen sollten. Das Fell über diesen vier Punkten wurde von uns bis auf die Haut abrasiert, damit der Reizstrom die zu behandelnden Stellen auch garantiert mithilfe des Kontaktsprays erreichen konnte. Die Behandlung erfolgte 10 Tage lang mit einer Dauer von 10 Minuten.
Unmittelbar nach dem Einschalten des Gerätes zuckte Ida immer etwas zusammen, so wussten wir, dass der Strom ankommt. Die restliche Therapiezeit hat Ida mit halbgeschlossenen Augen immer verschlafen.
Wir entschieden uns an unserem Reizstromgerät für ein Programm, das der Muskelstimulation dient, um die Muskulatur und die Beweglichkeit zu erhalten bzw. zu stärken. Durch die „aufgeklebten“ Elektroden wird der Strom durch die Haut geleitet und trifft dann direkt auf die Nerven, die den Muskel versorgen. Dieser löst eine Muskelanspannung aus und trainiert den Muskel auf diese Weise. Während der 10-minütigen Behandlung wird der Muskel immer wieder zur Anspannung gebracht, während den Pausenzeiten kann sich der Muskel entspannen. Dieser zeitliche Ablauf wird automatisch vom Gerät eingehalten. Eine Stimulation der Muskeln sollte nie länger als 15 Minuten dauern.
Außer einer geringen „Schlagseite“ nach rechts, wenn Ida nach ihren Luftsprüngen wieder auf dem Boden aufkommt, ist die kleine Riesin mithilfe der Reizstromtherapie wieder genesen. Ihr junges Alter, das frühe Eingreifen und die konsequente Behandlung haben zu diesem Erfolg beigetragen. Ida ist mittlerweile wieder bei ihren Kaninchen-Kumpeln, sie schafft es sogar, eine Erhöhung von 20 cm zu erklimmen. Auch das „Männchen machen“, um nach einem „Naschi“ zu betteln, funktioniert wieder. Ab und zu gerät sie dabei ins Schwanken, da noch etwas Kraft in den Hinterläufen fehlt, aber im Großen und Ganzen hat sie sich echt gut erholt.

NACHHANDLÄHMUNG BEIM KANINCHEN

Eine Nachhandlähmung beim Kaninchen bedeutet, dass das Tier die Hinterläufe gar nicht mehr oder nur teilweise bzw. eingeschränkt bewegen und zur Fortbewegung einsetzen kann.

URSACHEN

  • Verletzung der Hinterläufe durch Herunterfallen von erhöhten Plätzen, z.B. Fensterbänken, Kommoden, Tischen, Rampen
  • Zu starkes „Aufklopfen“ bei der kaninchentypischen Gefahrenwarnung
  • Bandscheibenvorfall
  • Osteomyelitis (Knochenentzündung: kann manchmal nach einer Fraktur entstehen)
  • Wirbelsäulenverletzung
  • Toxoplasmose
  • Enzephalitozoonose (Dreh- oder Sternguckerkrankheit)
  • Mangel an Vitaminen und Spurenelementen
  • Genetischer Defekt
  • Vergiftungen (Giftpflanzen, Pestizide, schimmeliges Futter)
  • Wenn Kaninchen sehr wehrhaft sind und nicht richtig fixiert wurden, z.B. beim Krallenschneiden oder bei der Medikamentengabe

SYLVIA RECH

TIERHEILPRAKTIKERIN

TÄTIGKEITSSCHWERPUNKTE
Tierhaltungsberatung, Tierheilkunde, spezialisiert auf Kaninchen und Meerschweinchen, Buchautorin

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Fotos ©: S. Rech