Fallstudie: Chiropraktische Behandlung eines 16-jährigen Pudels
Lupin ist ein 16-jähriger Pudel- Rüde, der seit 3 Tagen beim Laufen in der Hinterhand wegbricht und seitdem auch keine Treppen mehr gehen kann. Um ihn zu unterstützen, hat sein Herrchen zunächst eine Gehhilfe für ihn organisiert.
Anamnese und Vorgeschichte
Lupin lebt mit zwei weiteren Hunden und seiner Familie in einer schönen Altbauwohnung im Essener Süden. Es geht ihm seinem Alter entsprechend gut. Er spaziert regelmäßig mit den anderen Hunden, läuft die Treppe in den Garten hinunter und wieder hinauf, und befindet sich in einem guten Allgemeinzustand. Drei Tage vor unserem ersten Termin kann er plötzlich kaum noch gehen, bricht auf der Hinterhand immer wieder weg und kann die Treppe in den Garten nicht mehr selbstständig bewältigen. Sein Herrchen scheut sich, mit dem 16-jährigen Rüden den Tierarzt zu besuchen, da er befürchtet, dieser würde aufgrund des hohen Alters zur Euthanasie raten. Bei meinem ersten Hausbesuch erwartet
mich der Pudel-Senior bereits an der Haustür. Der kurze Weg ins Wohnzimmer fällt ihm sichtlich schwer, sein Rücken ist aufgewölbt und er schleppt sich mit langsamen, unsicheren Schritten vorwärts. In der Anamnese erfrage ich, seit wann die Beschwerden bestehen, wie sie sich äußern und welche Einschränkungen Lupin zeigt. Außerdem erfahre ich, dass er keine Vorerkrankungen hat und keine Medikamente bekommt.
Körperliche Untersuchung
Lupin ist aufmerksam und gepflegt, hat sein Idealgewicht und ist seinem Alter entsprechend gut bemuskelt. Er zeigt keinerlei Anzeichen von Infektionskrankheiten oder Verletzungen, nur einen beidseitigen altersbedingten Katarakt. Sein Gangbild ist steif, langsam und unsicher. Stellreflexe der Hinterhand sind vorhanden. Die Beweglichkeit seiner Extremitätengelenke lässt sich aufgrund mangelnder Kooperation nur bedingt prüfen. Beim Federungstest der Wirbelsäule zeigt er eine deutliche Druckdolenz im lumbosakralen Übergang (LSÜ).
Befund und Diagnose
In Ermangelung bildgebender Diagnostik, wie Röntgen, CT oder MRT, wird die Befundung aufgrund der Anamnese und der körperlichen Untersuchung durchgeführt. Es erhärtet sich die Verdachtsdiagnose „Cauda Equina Kompressionssyndrom“. Bei dieser Erkrankung kommt es zur Kompression der Spinalnerven, die sich nach dem 7. Lendenwirbel in verschiedene Nervenbündel aufteilen und das Rückenmark verlassen. Grundsätzlich sind bei diesem Krankheitsbild verschiedene Ursachen möglich. So können z. B. angeborene Verengungen vorliegen oder es ist durch eine Fehl- bzw. Überbelastung eine Fehlstellungen des Beckens oder des Kreuzbeins (Sakrums) entstanden. Möglich sind auch Bandscheibenvorfälle, altersbedingte Abnutzungen, wie Arthrose und Spondylose, sowie Subluxationen der Wirbel.
Durch eine oder mehrere der genannten Ursachen kommt es zur Einengung des Spinalkanals und zur Reizung oder Schädigung des dort entlassenen Spinalnervs. Im fortgeschrittenen Stadium kann die Kompression der Nerven zu Lahmheiten und/oder Schwäche der Hintergliedmaßen, Pfotenschleifen, Muskelatrophie, Kot- und Harninkontinenz führen.
Therapie und Verlauf
Aufgrund der Tatsache, dass Lupins Symptome erst kurzzeitig bestehen, sehe ich die Chance, ihn durch eine gezielte chiropraktische Behandlung der Wirbelsäule wieder mobilisieren zu können. In Anbetracht seines Alters und einer damit höchstwahrscheinlich vorliegenden Arthrose und/oder Spondylose ist eine manuelle chiropraktische Behandlung aufgrund möglicher Risiken kontraindiziert. Somit entscheide ich mich für eine unspezifische, instrumentelle chiropraktische Behandlung mit dem CAT (Chiropractic Adjusting Tool). Bei dieser Technik wird über den Activator (CAT) ein schneller, kurzer Impuls von ca. 4 Millisekunden auf den Processus spinosus der Wirbel gesetzt. Über diesen Impuls, der
Beim Cauda Equina Kompressions- syndrom kommt es zur Quetschung der Spinalnerven, die sich nach dem 7. Lendenwirbel in verschiedene Nervenbündel aufteilen und das Rückenmark verlassen.
fünfmal schneller ist als der Muskeltonus, der den Wirbel in der falschen Position hält, werden Subluxationen von Wirbeln und Gelenken sanft korrigiert. Durch eine Anpassung der umliegenden Gewebekoordination und Lösung der Hypertension kann sich der Wirbel automatisch in seine physiologische Position zurückbewegen. Arthrose und Spondylose sind keine Kontraindikationen für diese Art der Behandlung, da nur subluxierte Wirbel eine Reaktion zeigen und die sanfte Technik keine Verletzungen der Wirbelsäule verursachen kann. Somit ist die „instrumentelle Chiropraktik“ auch für geriatrische Patienten sehr gut geeignet. Bei der unspezifischen Behandlung mit dem CAT werden im ersten Durchgang jeder Wirbel, Becken und Sakrum behandelt; im zweiten Durchgang nur noch die Wirbel, die beim ersten Lauf eine Reaktion gezeigt haben. Aufgrund von Lupins fortgeschrittenem Alter lasse ich die HWS bei der chiropraktischen Behandlung aus, da die Atlasschleife im Fortgang zu Sklerosierung neigt und ich kein Risiko eingehen möchte. Nach „einer“ muskelentspannenden Druckpunktmassage kann ich Lupin ab dem 3. Brustwirbel Wirbel für Wirbel behandeln, bis hin zu Kreuzbein (Os Sacrum) und Becken. Starke Reaktionen, sog. Reads, zeigen sich bei Lendenwirbel 6 und 7 (L6, L7) sowie bei Kreuzwirbel 1–3 (S1, S2, S3), die im zweiten Durchgang abermals behandelt werden. Im Anschluss an die chiropraktische Therapie kürze ich Lupin das Fell unter den Pfoten, damit er auf dem Holzparkett sicherer aufstehen und laufen kann. Für die folgenden 3 Tage rate ich Lupins Herrchen zu einer moderaten Beanspruchung des Hundes und weise ihn darauf hin, dass es nicht ungewöhnlich ist, wenn sein Hund für ein paar Tage etwas müde und schlapp ist oder unter Muskelkater leidet. Zur allgemeinen Schmerztherapie verordne ich Lupin 2 Tropfen 10-prozentiges-CBD-Öl morgens und abends.
Folgetermin nach 1 Woche
Auch dieses Mal erwartet mich Lupin direkt hinter der Eingangstür, aber er läuft flotten Schrittes vor mir her ins Wohnzimmer, wo wir die Behandlung durchführen wollen. Bereits 3 Tage nach unserem ersten Termin erhielt ich ein Video von seinem Herrchen, das zeigt, wie Lupin wieder über die Wiese läuft. Seine Besitzer berichten, dass er beim Spaziergang wieder mitlaufen kann, die Treppen im Haus allein bewältigt und allgemein in einem guten Zustand sei. Während der chiropraktischen Behandlung mit dem CAT, die ich im selben Schema wie beim ersten Termin durchführe, fällt mir auf, dass Lupin weniger Reaktionen zeigt als beim ersten Mal und deutlich kooperativer ist. Offenbar hat er weniger Schmerzen als 1 Woche zuvor. Wir verabreden uns für den nächsten Termin 2 Wochen später.
Folgetermin nach weiteren 2 Wochen
Lupin geht es gut und er erwartet mich, wie gehabt, hinter der Eingangstür. Seine Schrittfolge ist sicher und gleichmäßig. Sein Frauchen berichtet, dass er in der Zwischenzeit nicht mehr auf der Hinterhand weggebrochen ist, die Treppe in den Garten für ihn kein Problem darstellt, er wieder mit den anderen beiden Hunden durch die Wiese spaziert und sogar wieder in der Ruhr schwimmen geht. Bei der chiropraktischen Behandlung ist Lupin wie immer etwas ungeduldig, aber zeigt keine Abwehrreaktionen. Im Übergangsbereich von Lendenwirbelsäule zum Sakrum zeigt er nach wie vor Reaktionen, die aber deutlich schwächer sind als zuvor. Nach einer chiropraktischen Behandlung am Hund ist es wünschenswert, dass dieser sich einmal von der Nase bis zur Schwanzspitze durchschüttelt. Dies ist für den Behandler ein wichtiges Indiz dafür, dass die Wirbelsäule frei von Blockaden ist. Lupin schüttelt sich nach jedem der beiden Durchgänge vorbildlich durch und ich bin
sehr zufrieden mit dem Behandlungserfolg. Ich kürze noch einmal das Fell zwischen seinen Ballen, das in den letzten Wochen erstaunlich schnell nachgewachsen ist, und kontrolliere seine Krallen. Arthrose-Patienten kann man viel Erleichterung verschaffen, indem man die Krallen stutzt, damit der Fuß richtig auffußen kann, und das Fell zwischen den Pfotenballen kurz hält, damit der Hund besonders auf glatten Böden sicherer aufstehen und laufen kann.
Status quo 1 Jahr später
Lupin hatte den Vorteil, dass die erste chiropraktische Behandlung bereits wenige Tage nach dem Auftreten seiner Symptome erfolgte, sodass die Wirbelsäulenblockade behoben werden konnte, bevor eine langfristige Nervenschädigung eingetreten ist. Das Behandlungsschema der instrumentellen Tierchiropraktik sieht vor, dass der Patient in 4 Wochen eine weitere Behandlung erhält. Danach nochmal in weiteren 8 Wochen, dann in 2 Monaten, später vorsorglich alle 6 Monate. Durch die konsequente Einhaltung des vorgesehenen Behandlungsplans konnten wir Lupin bisher eine sehr gute Lebensqualität schenken. Und er geht nun, 1 Jahr später, immer noch gerne spazieren. Mit seinen inzwischen 17 Jahren, seinem Grauen Star, ein paar fehlenden Zähnen und seinen liebenswerten Eigenarten ist er ein Opi mit beeindruckendem Alter. Von Euthanasie ist noch lange keine Rede, Lupin genießt weiterhin sein Leben mit seiner Familie, den anderen Hunden, Spaziergängen auf der Hundewiese und kleinen Schwimmausflügen in die Ruhr.
Chiropraktik bei Hunden
Indikationen
Klassische Indikationen für eine Behandlung durch den Tierchiropraktiker sind u. a. Subluxationen, Hüftgelenksdysplasie (HD), Wobbler-Syndrom, Diskopathien (Bandscheibenprobleme), degenerative Myelopathien (Rückenmarkserkrankungen), Gelenkserkrankungen, gastrointestinale Hyper- oder Hypomobilität sowie Reflux (Aufstoßen).
Kontraindikationen
Kontraindikationen für die chiropraktische Behandlung sind akute Traumata (z. B. Frakturen), Desorientierung, akute Gleichgewichtsstörungen, ungeklärte Anfälle, akute Lähmungen, hohes Fieber, Infektionskrankheiten, tiefe Thrombosen und neoplastische Erkrankungen der Knochen.
Die Therapeutin entschied sich für eine unspezifische, instrumentelle chiropraktische Behandlung mit dem CAT (Chiropractic Adjusting Tool). Bei dieser Technik wird über den Activator (CAT) ein schneller, kurzer Impuls von ca. 4 Millisekunden auf den Processus spinosus der Wirbel gesetzt.
Nur von geschultem Personal durchzuführen. Seriöse Tierchiropraktik erfordert eine spezielle Zusatzausbildung.
Das CAT erzeugt einen schnellen, kontrollierten Stoß auf eine sehr kleine Körperstelle, z. B. ein Wirbelsegment. Die Impulsstärke ist regulierbar, meist über einen Federzug. Es ersetzt den manuellen Handgriff, den man von der klassischen Chiropraktik kennt. Vorteil: Sehr sanft und kontrolliert, auch bei empfindlichen Patienten, z. B. kleinen Hunden, Katzen, Pferden und alten Tieren.
Funktionsweise
Mit der chiropraktischen Behandlung haben wir die Möglichkeit, Blockaden und Subluxationen der Wirbelsäule sowie der Extremitätengelenke zu korrigieren. Entstehen kann eine solche Blockade z. B. durch zu enges Slalomlaufen, Traumata, Überbelastung und einen Ruck an der Leine bzw. dem Halsband. Tipp: Um das Risiko einer Subluxation in der Halswirbelsäule (HWS) zu minimieren, sollte das Halsband des Hundes mindestens zwei Halswirbel abdecken. Als Faustregel gilt: Das Halsband sollte auf jeden Fall der Breite des Nasenspiegles entsprechen! Je nach Lokalisation (HWS, BWS, LWS) können Wirbel in Rotation (verdreht), Translation (seitlich verschoben), Lateralflexion (verkippt), Anteriorität (nach vorne verschoben), Posteriorität (nach hinten verschoben), in Konvergenz- (Streckung) oder Divergenzstörung (Beugung) stehen und die aus dem Wirbelkanal entlassenen Spinalnerven komprimieren. Ein blockierter Wirbel verursacht nicht nur Pathologien des Bewegungsapparats, sondern kann auch die durch den jeweiligen Spinalnerv innervierten Dermatome (Hautbereiche, die von den sensiblen Fasern einer Spinalnervenwurzel autonom versorgt werden), Enterotome (Einflussgebiete eines Spinalnervs auf die versorgten Eingeweide), Myotome (Muskulatur, die von einem Spinalnerven innerviert wird) und Sklerotome (Knochenabschnitte, die von einem Spinalnervensegment bzw. mehreren solcher Segmente innerviert werden) erheblich beeinflussen. So entstehen durch eine Subluxation des Wirbels mitunter vegetativ-reflektorische Symptome, die immer segment- und seitenspezifisch sind. Beispielsweise kann die Haut Pigmentstörungen, Juckreiz, Schuppen und Hyperalgesie (gesteigerte Schmerzempfindlichkeit) aufweisen.
Auch eine Beeinflussung der inneren Organe (Enterotome) ist möglich. Eine Subluxation im Bereich 3. Halswirbel bis 4. Brustwirbel (C3– TH4) kann das Herz beeinflussen, der Bereich 3.–6. Brustwirbel (TH3–TH6) steht in direktem Bezug zur Lunge und die Spinalnerven der Niere finden sich zwischen 13. Brustwirbel und 2. Lendenwirbel (TH13–L2). Eine typische Indikation für eine chiropraktische Behandlung wäre z. B. eine Korrektur im Bereich 4. Lendenwirbel bis 3. Kreuzwirbel (L4– S3), um eine Harninkontinenz zu therapieren. Insbesondere Hündinnen leiden oft nach Kastrationen darunter, was auf die Lagerung während der OP zurückzuführen ist und durch eine Adjustierung behoben werden kann.
Fazit
Die Chiropraktik bietet uns Therapeuten die Möglichkeit einer sehr effektiven Behandlung des Bewegungsapparats und des gesamten Organismus. Mit einer guten Ausbildung und der richtigen Technik können wir sowohl bei jungen wie auch bei älteren Tieren Blockaden lösen und das Wohlbefinden unserer Patienten entscheidend steigern. Viele Patientenbesitzer berichten mir bereits einige Tage nach der Behandlung, dass ihr Hund die Treppen wieder sicherer läuft, beim Spaziergang nicht mehr humpelt, keine Schmerzmittel mehr benötigt und allgemein deutlich agiler ist.
Abschließend möchte ich eine Kundin zitieren, deren Worte alles sagen: Bruno geht es unglaublich gut. Er läuft ohne Schmerzmittel und rennt ausdauernd, fast wie ein junger Hund. Es ist genial, was für eine Power er auf einmal hat.
SASKIA BORNATH
Tierheilpraktikerin
Ernährungsberatung, Onkologie, Dentalhygiene, Chiropraktik, Grooming