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Serie: Tierisch Weise - Das liebenswerte Faultier

Es lebte einmal eine Faultierfamilie in ihrer wunderschönen grünen Welt mit vielen alten Bäumen nahe der Küste. Wie jeder weiß, ist das Besondere an einem Faultier das Nichts-Tun. Das Nichts-Tun heißt bei Faultieren, mit den Füßen nach oben in Bäumen zu hängen. Und wenn sie etwas tun, dann mit ganz viel Ruhe, denn sie sind so entspannt. In dieser Faultierfamilie, sie bestand aus den Eltern mit ihren 4 Kindern, gab es eines, das besonders entspannt war. Es erledigte zwar auch die für ihn wichtigen Dinge, z.B. essen (Getreidehonigbällchen mit Milch), sich im Meer erfrischen oder mit Freunden „abhängen“. Dabei legte es eine noch größere Ruhe an den Tag, als es die Faultiere sowieso schon tun. Dies ging so weit, dass dieses Faultier es sogar schaffte, seine entspannten Eltern aus der Ruhe zu bringen. Sie waren der Meinung, ein bisschen zusätzliche Aktion könnte auch einem noch so entspannten Faultier nicht schaden. Nachdem das Faultierkind etwas erledigt hatte, fiel es in einen tiefen Schlaf, aus dem es keiner wecken konnte. Das Spezielle an dem Faultierkind war sein Gesichtsausdruck: So liebenswert und sorgenfrei, nichts auf der Welt konnte es stressen! Es lebte in seiner eigenen entspannten Welt.

Eines Tages machte die Nachricht von einem Neuankömmling die Runde. Es sollte ein Faultier zu ihnen in die grüne Welt ausgesetzt werden, das einige Jahre bei den Menschen in einem Zoo verbracht hatte. Es hieß, das Faultier sei an etwas erkrankt, wofür die Menschen keinen Namen wussten. Und weil das Faultier sich durch die Krankheit total verändert habe, erhofften sich die Menschen Hilfe durch die Natur. Man dachte, wenn man das Tier dahin zurückbringt, wo es hergekommen ist, würde die seltsame Erkrankung verschwinden. So kam der Tag, an dem die Faultiere einen Hubschrauber hörten. Sie beobachteten, wie Menschen eine Kiste unter einen Baum stellten und dann ihre Welt wieder verließen. Da die Menschen an der Kiste eine Klappe offen gelassen hatten, waren alle Faultierfamilien sehr gespannt, was als Nächstes passieren würde. Sie mussten nicht lange warten, da schaute ein Faultierkopf aus der Kiste. Jetzt rechneten natürlich alle damit, dass der Neuankömmling langsam aus der Kiste kriechen würde, doch was war das? Der Neuankömmling schoss in einer für Faultiere beachtlichen Geschwindigkeit los und rannte wild durch die Gegend, um sie zu erkunden. Jedes Mal, wenn er einen Artgenossen traf, hielt er kurz inne, schaute den Artgenossen von oben bis unten an und sprach: „Hey, du hast ja eine dicke Nase. Dicknase, Dicknase!“ Zum nächsten: „Deine Beine sind ja ganz krumm. Krummbein. Krummbein!“ Ein anderes Faultier musste sich anhören, was für große Ohren es hätte, und das nächste, wie dick es war. Bei jedem Faultier fand der Neuankömmling Dinge zum Nörgeln. Das war etwas Neues für die Faultiere aus der grünen Welt, denn bisher hatte jeder jeden so gut gefunden, wie er war. Sie hatten sich keine Gedanken darüber gemacht, wenn einer anders aussah als der andere. Sie fragten sich, ob das wohl ein Teil dieser komischen Erkrankung sei.

Aber das war noch nicht alles, was der Neuankömmling zu bieten hatte. Mit der Schnelligkeit, die für die anderen Faultiere stressig war, hatten sie sich ja schon abgefunden. Am Meckern konnten sie auch nichts ändern. Aber dass der Neue so gut wie nie ruhte, wurde zu einem richtigen Problem. Denn immer wenn alle ruhen wollten, kam der Neuankömmling und fragte: „Habt ihr nichts zu tun? Ihr könnt doch nicht nur faul am Baum hängen, ihr verschlaft ja euer ganzes Leben! Habt ihr keine Arbeit oder etwas Wichtiges zu erledigen? So werden aus euch keine erfolgreichen Faultiere. Ihr wollt es doch einmal zu etwas bringen. Und überhaupt: Ihr habt keine Pläne, ihr wisst nie, was ihr am nächsten Tag vorhabt. Ihr redet nie von der Zukunft. Man muss sich doch über seine Zukunft Gedanken machen.“ So ging es in einer Tour, den Faultierfamilien drehte sich nur noch der Kopf. Sie fanden keine Ruhe mehr. So konnte es nicht weitergehen. Sie riefen alle Faultiere zu einer Konferenz zusammen, auch den Neuankömmling. Der Faultierälteste schilderte die Situation. Keiner konnte sich erklären, was mit dem Neuen bei den Menschen passiert war. Sie suchten nach einer Erklärung dieses merkwürdigen Verhaltens. Der Faultierälteste bat den Neuankömmling, aus der Zeit bei den Menschen zu berichten, vielleicht lag dort die Erklärung. Dies tat er dann auch.

Er erzählte von Menschen im Zoo, die so schnell von Käfig zu Käfig gelaufen waren, als wären sie vor etwas auf der Flucht gewesen. Andere Menschen standen vor seinem Gehege, aber schauten nicht ihn an, sondern nur die Menschen neben sich. Und sie fingen an, über sie zu reden. Aber nicht im Guten, sondern sie suchten nur nach Dingen, über die sie sich lustig machen konnten. Wie die Menschen aussahen, was sie trugen etc. Dabei wollte der Neuankömmling ihnen doch nur zeigen, was für ein hübsches Tier er war, doch das interessierte die Menschen gar nicht. Auch schienen sie mit ihren Gedanken manchmal ganz woanders zu sein. Und wenn Menschen, die sich kannten, sich zufällig vor seinem Käfig trafen, wurden ganz komische Gespräche geführt. Auf die Frage „Wie geht es dir?“ hörte er keine spannenden Antworten, sondern nur ein langweiliges „Gut! Und dir?“ „Auch gut!“ Wenn ihn jemand fragen würde, hätte er viel mehr zu erzählen. Aber am meisten irritierten ihn die Fragen. „Mensch, und was machst du so? Was ist aus dir geworden?“ Oder: „Was hast du in deinem Leben noch vor? Wie sind deine Pläne?“ Er verstand die Menschen nicht. Wieso musste man immer etwas sein? Oder musste man heute wissen, was man in der Zukunft tun möchte? Als sie dem Neuen lange zugehört hatten, wurden alle ganz betroffen und still. Ihnen wurde klar, dass es sich bei dem Neuankömmling um gar keine Erkrankung handelte, sondern dass er sich aus Einsamkeit und Langeweile im Zoo einen Zeitvertreib gesucht hatte. Er hatte im Zoo damit begonnen, die Menschen zu beobachten und ihren Gesprächen zu lauschen. Aber er hatte sie nicht nur beobachtet und ihnen zugehört, sondern auch angefangen, sie nachzuäffen. Dies hatte er sich bei seinen Zoonachbarn, den Affen, abgeschaut, die dadurch immer viel Spaß hatten. Doch aus dem spaßigen Spiel war Ernst geworden, denn der Neuankömmling hatte irgendwann festgestellt, dass er mit diesem Spiel gar nicht mehr aufhören konnte. Er fand einfach nicht mehr in seine ursprüngliche Ruhe und Gelassenheit zurück. Den Faultieren wurde nun einiges klar. Die Menschen hatten keine Idee gehabt, was mit dem Faultier im Zoo passiert war, weil sie selbst der Grund für die Veränderung gewesen waren. Und um etwas ändern zu können, hätten sie sich ja selbst ändern müssen. Dazu hätten sie zu viele Dinge anders machen müssen:

  • Nicht nur arbeiten, sondern auch mal entspannen.
  • Nicht nur Geldverdienen und Erfolg sehen, sondern auch lernen, mit weniger glücklich zu sein, im besten Fall mit sich selbst.
  • Keine Zukunftspläne zu schmieden, sondern im Hier und Jetzt zu leben.
  • Aufhören, andere zu beurteilen und zu bewerten, sondern jeden so sein zu lassen, wie er ist.
  • Keinen Stress zu machen, sondern die Kraft aus der Ruhe zu ziehen und dem Leben zu vertrauen, vor allem, weil es für jeden sowieso einen vorbestimmten Weg gibt.

Doch diese Erkenntnis nützte dem Neuankömmling nicht viel, denn er brauchte jetzt Hilfe, sein ursprüngliches Wesen zurückzuerlangen. Und da halfen keine Worte, sondern es musste andere Hilfe her. Der Blick aller Faultiere fiel auf ihr besonders entspanntes Faultier. Der Faultierälteste sprach zum Faultierkind:
„Bitte, liebes Faultierkind, du besitzt die größte innere Ruhe und Gelassenheit. Nimm den Neuen mit zu deinem Baum und lass ihn immer in deiner Nähe sein. Nur über das Fühlen deiner so tiefen inneren Entspannung und deines Urvertrauens zum Leben werden wir ihm wirklich helfen können. Seine Handlungen kommen nur noch aus seinem Kopf, er hat die Verbindung zu sich selbst verloren. Der Neuankömmling muss wieder spüren, wie es sich anfühlt, ein Faultier zu sein.“ So geschah es dann auch. Das Faultierkind und der Neuankömmling verbrachten Tag für Tag miteinander, aßen zusammen Honigbällchen, erfrischten sich im Meer und hingen nebeneinander im Baum. Und mit jeder Minute, die verstrich, nahm der Neue die Veränderung wahr, die mit ihm geschah. Wie aus Anspannung in seinem Körper Entspannung wurde. Oh, wie wunderbar und frei fühlte es sich an, dass dieses Durcheinander in seinem Kopf sich beruhigte! Dass der Kopf ihm nicht ständig vorgab, welche Worte aus seinem Mund kommen sollten, die ihn und andere nur stressten. Nach ein paar Wochen war der Neuankömmling wieder ein völlig entspanntes Faultier und das Faultierkind um eine Erfahrung reicher. Es hatte gelernt, wie wunderbar es war, ein Faultier zu sein. Und dass die Gaben, die man besitzt, wahre himmlische Geschenke sind, die man wie einen Schatz hüten sollte. Wenn man seine Gaben lebt, kann man damit auch anderen behilflich sein und anderen etwas schenken, denn der Schatz der eigenen Gaben ist der wahre Reichtum des Lebens.

Und so ist die Weisheit der Geschicht:
Erkenne deine Gaben, denn sie führen dich ins Licht!

THP 5 21 300 Page51 Image2THP 5 21 300 Page51 Image1TIERISCH WEISE 1 & 2,
ANITA BALCKE-KÜSTER
EINKLANG VERLAG
ISBN 978-3981709216 &
ISBN 978-3946315001


ANITA BALCKE-KÜSTERANITA BALCKE-KÜSTER

HEILPRAKTIKERIN
FÜR PHYSIOTHERAPIE

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Krankengymnastin mit Osteopathiestudium, Masseurin und med. Bademeisterin, Studienleiterin der Paracelsus Schule Bremen

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Zeichnung © J. Päper