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Bandscheibenvorfall beim Hund

Ein nicht zu unterschätzendes Problem

Erkrankungen der Bandscheiben sind meist degenerativer Natur, können aber auch z. B. traumatisch bedingt sein. Betroffen sind vor allem die Bandscheiben der Hals- und Lendenwirbelsäule, da diese beiden Wirbelsäulenabschnitte die größ- te Beweglichkeit aufweisen und hier die höchste Belastung auf die Bandscheiben vorliegt. Die Bandscheiben befinden  sich jeweils zwischen zwei Wirbelkörpern, um dort wie eine Art Bewegungspuffer zu wirken. Sie bestehen aus einer knorpeligen Masse, in deren Mitte sich ein Kern (med.: Nucleus pulposus) befindet, der außen herum von einem fibrösen Knorpelring (Anulus fibrosus) umgeben ist. Der Bandscheibenkern selbst besteht aus einer gelatineartigen Masse mit extrem  hohem Wasseranteil, der ihm viel Elastizität verleiht. Aber auch der Anulus fibrosus besitzt einen hohen Wasseranteil, der  jedoch wesentlich geringer ist als der Anteil im Bandscheibenkern. Insgesamt betrachtet wirken die Bandscheiben wie  „Stoßdämpfer“ zwischen den Wirbelkörpern, stellen aber auch eine metabolische Verbindung zu den angrenzenden Wirbelkörperabschlussplatten dar, sodass degenerative Prozesse von den Bandscheiben auf die Wirbelkörper übergreifen  können. Gestützt und gleichzeitig beweglich gehalten werden Wirbelkörper und Bandscheiben durch kleine Gelenke, die  sich zwischen den Wirbelkörpern befinden und daher auch kleine Wirbelgelenke genannt werden.

Foto: © Sbilderzwerg - Fotolia, Kernspinaufnahmen FoltinProzess der Degeneration

Im Verlauf einer Bandscheibendegeneration verliert die Bandscheibe Wasser. Dieser Wasserverlust ist im Bandscheibenkern stärker ausgeprägt als im äußeren Bandscheibenring. Die Elastizität der Bandscheibe nimmt dann mit fortschreitender Degeneration deutlich ab. Dadurch werden die kleinen Wirbelgelenke stärkeren Bewegungen ausgesetzt, sodass es an ihnen langfristig zu arthrotischen Veränderungen (Spondylarthrosen) kommt. Auch an den Kapsel-Bandansätzen der Wirbelkörper kann es durch übermäßige Belastung zu Druckänderungen kommen, die wiederum einen degenerativen Prozess an den Wirbelkörpern auslösen. Die betroffenen Wirbelkörper versuchen diese Druckänderungen durch Knochenzubildungen zu kompensieren, sodass sich bauchseitig am Wirbelkörper knöcherne Ausziehungen (Osteophyten) bilden, die langfristig zu ganzen Spangen zusammenwachsen können. Medizinisch wird hier von Spondylosen bzw. einer Spondylosis deformans gesprochen.

THP 4 18 final Page29 Image1Wichtigkeit des Rückenmarks

Das Rückenmark ist ein Teil des Zentralen Nervensystems (ZNS) und kann als Verlängerung des Gehirns betrachtet werden. Vom Gehirn ausgehend zieht es nach hinten bis zur oberen Lendenwirbelsäule und endet in einem Konus (Conus medullaris), von dem aus die Nerven wie ein Pferdeschwanz weiter nach hinten gehen. Aufgrund dieser Struktur wird dieser hinterste Nervenanteil auch Cauda equina (lat.: Pferdeschwanz) genannt. Beim Menschen, dessen Lendenwirbelsäule (LWS) lediglich aus fünf Lendenwirbelkörpern besteht, befindet sich der Conus medullaris bereits im Übergangsbereich zwischen Brust- und Lendenwirbelsäule, während er sich bei Hunden, deren LWS aus sieben Lendenwirbeln besteht, auf Höhe des vierten bis fünften Lendenwirbelkörpers befindet. Aus dem Rückenmark ziehen die abgehenden Nerven durch kleine Löcher in den Wirbelkörpern (Foramina intervertebralia) in die Peripherie. Diese dienen der Steuerung innerer Organe ebenso wie der Bewegung der Sensibilität des Rumpfes und der Gliedmaßen. Das Rückenmark stellt damit – wie das Gehirn – ein lebenswichtiges Organ dar und ist innerhalb des knöchernen Wirbelkanals relativ gut vor äußeren Einflüssen geschützt.

THP 4 18 final Page29 Image2Wie das Rückenmark selbst sind auch die abgehenden Nerven sehr empfindlich. Werden sie verletzt, gequetscht oder durchtrennt, können sie ihre Funktion nicht mehr oder nicht mehr regelgerecht ausüben und es kommt zu mehr oder weniger schweren neurologischen Ausfällen im Versorgungsgebiet des betroffenen Nervs. Die Regeneration ist hier meist sehr langwierig oder bleibt vollständig aus. Je schlimmer der Schaden an Nerv oder Rückenmark ist, desto schwieriger ist die Regeneration. Ein vollständig durchtrenntes Rückenmark bedeutet Querschnitt, ein vollständig durchtrennter Nerv dauerhafte Funktionsausfälle des betroffenen Versorgungsgebietes. Ein ausgeprägter Bandscheibenvorfall kann sowohl die austretenden Nerven als auch das Rückenmark schwer schädigen.

THP 4 18 final Page30 Image1Ursachen und betroffene Rassen

Von Bandscheibenproblemen betroffene Hunde zeigen oft schon längere Zeit Vorgänge einer Degeneration, die sich an den betroffenen Bandscheibenhöhen manifestiert hat. Die Bandscheibe verliert an Elastizität und neigt eher dazu, sich vorzuwölben (Protrusion) oder gar vorzufallen (Prolaps), als eine nicht vorgeschädigte Bandscheibe. Begünstigend wirken Übergewicht und Überbeanspruchung, aber auch Rasseprädispositionen spielen eine Rolle. So tritt bei kleinen Hunden mit langgestrecktem Rücken wie dem Dackel eine höhere Quote an Bandscheibenvorfällen auf als bei normalproportionierten Hunden. Beim Dackel wird hier oft von Dackellähme gesprochen, einem Begriff, der eigentlich irreführend ist, da es sich ursächlich um einen Bandscheibenvorfall und nur symptomatisch um eine Lähmung handelt, die mehr oder minder stark ausgeprägt sein kann. Beim Dobermann und der Deutschen Dogge treten Bandscheibenvorfälle bevorzugt im Bereich der Halswirbelsäule auf, während sie beim Dackel und Deutschen Schäferhund meist im Bereich der Lendenwirbelsäule lokalisiert sind. Katzen neigen durch ihren elastischeren Körperbau nicht zu Bandscheibenvorfällen und sind daher, wenn überhaupt, nur traumatisch von dieser Problematik betroffen.

THP 4 18 final Page30 Image2Formen von Bandscheibenvorfällen

Medizinisch wird im Rahmen der Behandlungsentscheidung zwischen einer Bandscheibenvorwölbung und einem Bandscheibenvorfall unterschieden. Je nach Lokalisation können beide mehr oder minder schmerzhaft sein und mehr oder weniger deutliche Ausfallserscheinungen hervorrufen. Während Bandscheibenvorwölbungen gut physiotherapeutisch und medikamentös therapiert werden können, steht beim Bandscheibenvorfall meist eine Operation an. Der Übergang von einer Vorwölbung zum Vorfall ist flie- ßend. Fällt die Bandscheibe großflächig über die gesamte Breite des Wirbelkörpers vor, kann der Vorfall von einer Vorwölbung meist nur schlecht oder gar nicht unterschieden werden.

THP 4 18 final Page31 Image2Man spricht dann von einem unvollständigen Vorfall. Der äußere Faserring der Bandscheibe ist dabei aufgeweicht, aber intakt, der Bandscheibenkern wird nach vorne außen gedrückt und wölbt sich breitbasig in Richtung Rückenmark vor. Die Symptome entwickeln sich meist schleichend: Die Hunde zeigen leichte Schmerzen, die sich mit der Zeit verschlimmern können. Beobachtet werden kann ein aufgekrümmter Rücken und ein unnormales Gangbild, das meist mit Schleifen der betroffenen Hintergliedmaße einhergeht. Lähmungserscheinungen sind selten, allerdings können durch die langanhaltenden Beeinträchtigungen dauerhafte Schäden an den betroffenen Nerven auftreten, sodass die Prognose eher fraglich ist.

Reißt der Anulus fibrosus ein, sodass der Bandscheibenkern zungenförmig in Richtung Rückenmark vorfällt, liegt in der Regel ein akuter Bandscheibenvorfall vor. Dieser ist verbunden mit plötzlichen Schmerzen, neurologischen Ausfällen und Lähmungserscheinungen. Eine frühzeitige, d.h. schnelle Operation ist hierbei meist Therapie der Wahl.

THP 4 18 final Page31 Image4Diagnosestellung und Therapie

Um eine eindeutige Diagnose stellen zu können, bedarf es mehrerer Schritte. Zunächst wird der Tierarzt eine klinische und neurologische Untersuchung durchführen, in der er Schmerzhaftigkeit, Lahmheit und Schweregrad vorhandener neurologischer Ausfälle beurteilt. Eine grobe Eingrenzung der Höhe des eventuell vorliegenden Bandscheibenvorfalles ist dabei meist schon möglich. Eine endgültige Diagnose lässt sich jedoch nur durch ein bildgebendes Verfahren wie Kontraströntgen (Myelographie), Computertomographie oder Kernspintomographie stellen, wobei die Kernspintomographie als Mittel der Wahl anzusehen ist. Damit kann das Ausmaß, die genaue Höhe der Problematik und die richtige Seite des Bandscheibenvorfalls ermittelt werden.

THP 4 18 final Page31 Image1 Die exakte Festlegung von Höhe und Seite sind für eine OP-Planung von essenzieller Bedeutung. Je nachdem, welche klinische Symptomatik und welches Bild sich in der Bildgebung zeigt, kann der Tierarzt entscheiden, ob konservativ oder operativ behandelt werden kann/soll/muss. Zur Schmerzlinderung werden schmerz- und entzündungshemmende Medikamente gegeben, wie man diese auch aus der Humanmedizin kennt. Kann konservativ behandelt werden, muss zunächst eine Schonung von etwa einer Woche und anschließend ein langsamer Anstieg der Belastung in Kombination mit physiotherapeutischen Maßnahmen zum Aufbau der Muskulatur und zur Erhaltung der Beweglichkeit verordnet werden. Tritt im Rahmen dieser Therapie keine Besserung ein oder kommt es sogar zur Verschlechterung der Symptome, muss trotzdem operiert werden. Um dauerhafte Schäden zu vermeiden, sollte dann der Operationstermin relativ schnell angesetzt werden.

Erfolgsaussichten

Generell sind die Behandlungsaussichten bei Bandscheibenvorwölbungen sowie Bandscheibenvorfällen gar nicht so schlecht. Insbesondere wenn frühzeitig behandelt werden kann, klingen die Symptome meist vollständig ab. Ein kleines Stück weit regeneriert sich eine degenerativ belastete Bandscheibe auch von selbst, indem sie selbstständig wieder Wasser einlagert. Dieser Prozess reicht jedoch nicht aus, um eine deutliche Symptomatik zu überwinden, sondern unterstützt lediglich die langfristig anzusehenden Erfolgsaussichten. Liegen hochgradige degenerative Veränderungen im Bereich Bandscheibe und Wirbelkörper vor, lässt sich eine vollständige Symptomlosigkeit meist nicht mehr erreichen, d. h., alle zur Verfügung stehenden Behandlungsansätze führen im besten Fall zur Symptomlinderung. Bei schweren Bandscheibenvorfällen, die bis in die Foramina intervertebralia reichen und zu einer massiven Beeinträchtigung des jeweils durchziehenden Nervs führen, bleiben trotz intensiver Behandlung oftmals Lähmungserscheinungen und Beeinträchtigungen innerer Organe, wie z. B. der Harnblase, zurück (Blasenentleerungsstörungen). Die Erfolgsaussichten sind also immer vom Schweregrad der Degeneration, des Bandscheibenvorfalles und dem Zeitpunkt des Behandlungsbeginns abhängig, wobei zu berücksichtigen ist, dass je nach Lokalisation kleine Bandscheibenprotrusionen auch schlimmere Symptomatiken auslösen können als große Bandscheibenvorfälle.

DR. ISA FOLTINDR. ISA FOLTIN
TIERÄRZTIN
RADIOLOGIN
DIPLOM-JOURNALISTIN

TÄTIGKEITSSCHWERPUNKTE

  • Vergleichende Radiologie bei  Mensch und Tier
  • Spezialgebiet Kernspintomographie
  • Medizinjournalismus für Pharmafirmen, Wissenschafts- und Publikumsmedien
  • Dozentin der Paracelsus Schulen

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