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Kinderzimmer: Wühli, der kleine Maulwurf

Autorin: Sophie Ferstl

In einem herrlichen Garten lebte ein kleiner Maulwurf. Wühli hieß er, und war dann am glücklichsten, wenn er mit seinen beiden Schaufelhändchen seine Gänge graben durfte. Obwohl er mit seinem schwarzen Pelz und dem stattlichen Gewicht von 90 Gramm ein wirklich schmucker Bursche war, war er am liebsten allein unterwegs. Mit den Tasthaaren an seiner Schnauze, dem Eimerschen Organ an seiner Nase, das es nur bei diesen Säugetieren gibt, und seinem hervorragenden Gehör konnte er nicht nur die kleinsten Erschütterungen wahrnehmen, sondern hörte alles, was hier um ihn herum geschah, besonders gut.
So grub er begeistert Jagdgänge, die er quer zu den Bahnen der anderen Erdbewohner anlegte und die er jeden Tag neu nach Beutetieren durchsuchte, und wenn er dann neben den üblichen Engerlingen, Schnecken, Spinnen, Regenwürmern oder Larven auch mal eine kleine Maus verspeisen konnte, die sich hierher verirrt hatte, freute er sich sehr. Natürlich musste neben den Jagdgängen immer wieder auch an einer Sackgasse ein Belüftungsschacht angelegt werden, um für ausreichende Sauerstoffzufuhr in seiner unterirdischen Heimat zu sorgen.
Obwohl Wühli sich allein sehr wohlfühlte, hörte er eines Tages mit seinen feinen Ohren ein leises Glucksen – und neugierig machte er sich auf die Suche, woher dieses Geräusch kam. Je mehr er sich dem Glucksen näherte, desto stärker wurde auch ein besonders guter Duft, den er noch nie gerochen hatte. Kurze Zeit später entdeckte er eine kleine Schlafhöhle, die ein ihm unbekanntes Maulwurfsweibchen namens Grabi gebaut hatte und die als Nest für ihre Jungen vorbereitet war. Mit viel Liebe hatte sie die Nestkammer mit Pflanzen ausgepolstert, und als er die kleine schwarze Dame antraf, war es sofort um ihn geschehen: Wühli war schwer verliebt.

Vier Wochen nach der Paarung erblickten vier kleine Jungtiere das Licht der Welt. Obwohl Wühli wie alle Maulwürfe ein Einzelgänger war und sich bei diesen Tieren das Muttertier allein um die Aufzucht kümmert, war er doch sehr neugierig. So kam er regelmäßig heimlich vorbei und beobachtete Grabi dabei, wie sie die kleinen, noch völlig nackten Ferkelchen die nächsten sieben Wochen säugte. Er staunte, wie schnell die vier heranwuchsen, und so wunderte es ihn nicht, dass Grabi die Jungen schon nach kurzer Zeit aus dem Nest warf, denn ab jetzt konnten sie sich allein versorgen.
Da für die Kleinen nun die gefährlichste Zeit ihres Lebens anbrach und Wühli mehr darüber erfahren wollte, wie es nun wohl weitergehen würde, blieb er bei einem seiner Kinder und beobachtete heimlich weiter. Dieses machte sich auf die Suche nach einem eigenen Revier, und immer wieder fürchtete Wühli, jetzt sei das Leben seines Nachwuchses vorbei, denn dieser hatte nichts Besseres zu tun, als an die Oberfläche der Erde zu graben, und Wühli wusste ja, dass hier möglicherweise Eulen, Greifvögel oder Katzen warten, die sich über leichte Beute freuen würden. Doch Gott sei Dank geschah kein Unglück.
Als er sah, dass der Kleine sein eigenes Revier erfolgreich gefunden hatte, kehrte Wühli zurück in seine eigenen Gänge, denn es wurde nun Zeit, Vorräte für den kalten Winter anzulegen. Was er jetzt in seinen Jagdgängen an Regenwürmern fand, wurde mit einem gezielten Biss in den Kopf bewegungsunfähig gemacht, sodass die Beute zwar noch am Leben, aber fluchtunfähig war. Anschließend brachte er diese in die vorher angelegten Vorratskammern.
Dann brach der Winter herein, und Wühli beschloss, dass es sinnvoll ist, etwas weniger zu graben, denn in der Kälte sollten ja die gesammelten Vorräte bis zum nächsten Frühjahr reichen. Auf diese Weise konnte er langsamer atmen, auch seine Körpertemperatur wurde niedriger. So verbrauchte Wühlis Körper weniger Energie. Wann immer er Hunger bekam, ging er an seine Vorräte. Er angelte sich einen Regenwurm und quetschte zuerst mit Daumen und Zeigefinger den Sand aus dem Darm, um ihn danach genüsslich zu verspeisen. Wühli überstand den Winter dank seiner guten Vorbereitung unbeschadet, und als er an einem schönen Frühlingsmorgen seine Nase aus einem der frischen Maulwurfhügel streckte, freute er sich darauf, endlich wieder seiner liebsten Beschäftigung, dem Graben neuer Gänge, nachzugehen.
Da Maulwürfe hilfreich sind, um den Boden locker zu halten und auch Schädlinge fressen, die sonst gerne an die Pflanzen gehen, ärgere dich das nächste Mal nicht, wenn du einen Maulwurfhügel siehst, sondern erinnere dich an den putzigen kleinen Gesellen, der hier lebt.

Fotos ©: J. Pavlinec – Adobe, K. Maryia – Adobe, Engel73 – Adobe