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Tierphysiotherapie: Geschichte, Indikationen, Anwendung

Foto: Knosp/BrotzkiDie allgemeine Physiotherapie ist ein ganzheitliches Heilverfahren. Ihr Einsatz dient der Linderung bzw. Heilung durch passive und aktive Bewegungen des Menschen und des Tieres zur Vorbeugung, Therapie und Rehabilitation von gesundheitlichen Beschwerden und Schädigungen, die durch Verletzungen, Krankheiten und Alterungsprozessen entstanden sind. Ihr Ziel ist es, die Gesundheits- und Leistungsförderung im Rahmen der entstandenen körperlichen Problematiken durch einen individuellen Therapieplan zu gestalten.

Die Tierphysiotherapie leitet sich von der Humanphysiotherapie ab. Bereits seit Jahrtausenden ist die Körpertherapie ein bekanntes Mittel, um Beschwerden zu mildern, indem man mit der Hand über schmerzende Areale des Körpers streicht, knetet oder diese beklopft. Im Mittelalter ging das Heilmittel Massage durch den körperfeindlichen Einfluss der kirchlichreligiösen Auffassungen verloren. Erst seit etwa 150 Jahren wurde die Klassische Massage wiederentdeckt. Die allgemeine Physiotherapie kam somit in den letzten Jahrzehnten durch das Bemühen von Wissenschaftlern und praktisch Tätigen aus ihrer früheren Isolierung heraus und hat heute einen bedeutenden Stellenwert in der Prophylaxe, Therapie und Rehabilitation eingenommen.

Foto: Knosp/BrotzkiIn den 1970er-Jahren beeinflusste die Pferdephysiotherapie die Veterinärmedizin in Deutschland. In Großbritannien z. B. erlaubte die Tierärztliche (Ausnahme-)Verordnung von 1962 Physiotherapie zur Behandlung von Tieren unter bestimmten Voraussetzungen. Über Jahrzehnte hinweg entwickelte sich die Pferdephysiotherapie weiter und wurde teils auch wissenschaftlich untermauert und in ihren Behandlungsmethoden dem Stand der Humanphysiotherapie angepasst. Das eigentliche Instrument des Tierphysiotherapeuten ist die tastende und fühlende Hand, mit der er am Körper eine Massage durchführt. Der Begriff „Massage“ stammt vom griechischen Wort „massein“ ab, das so viel wie „kneten“ bedeutet und mit dem lateinischen Wort „manus“ für „die Hand“ verwandt ist. Damit eine Physiotherapie „erlebt“ werden kann, muss der Therapeut mit den Fingerspitzen bzw. den Händen die erkrankten Bereiche der Muskeln, Sehnen, Bänder, Knochen und Gelenke erspüren und fachgerecht behandeln. Dies erfordert viel Einfühlungsvermögen und setzt sehr gute Kenntnisse der Anatomie und Physiologie des Tieres bzw. der Pathophysiologie verschiedener Krankheiten voraus. Auch muss die seelische Verfassung eines tierischen Patienten immer mitberücksichtigt werden.
Aber die Massage alleine ist nicht das einzige Therapiekonzept des Physiotherapeuten. Unterstützt werden die Behandlungen durch physikalische Therapien wie Wärme- und Kälteanwendungen, Magnetfeldtherapie, Stromtherapien, wie Iontophorese, TENS und sonstigen Elektrotherapien, Wasseranwendungen, Farblichtbehandlungen etc. Physikalische Maßnahmen stellen also ein weiteres spannendes Teilgebiet der Physiotherapie dar.

Auch ist eine Spezialisierung im Bereich der manuellen Therapien möglich. Diese stellt die „Hohe Schule“ der Physiotherapie dar. Manuelle Therapien wie z. B. die Chiropraktik sind alle diagnostischen und therapeutischen Techniken zur Erkennung und Behandlung von Funktionsstörungen am Bewegungsapparat. Dabei werden Gelenke und Weichteile behandelt. Im deutschsprachigen Raum werden unter dem Begriff „Osteopathie“ verschiedene Formen von Diagnose und Therapie reversibler Funktionsstörungen des aktiven und passiven Bewegungsapparates verwendet.

Abhängig von den betrachtenden Strukturen des Körpers lässt sich die Osteopathie in drei Bereiche einteilen:

  • Muskulatur, Gelenke und Bindegewebe (parietale Osteopathie)
  • Innere Organe und deren bindegewebige Aufhängungen (viszerale Osteopathie)
  • Inhärente „Rhythmen“ des Organismus (craniosakrale Osteopathie)

Foto: Knosp/BrotzkiEin beliebter Schwerpunkt in der Pferdephysiotherapie ist die craniosakrale Osteopathie. Sie stellt eine effektive Behandlungsform für Pferde und eine gute Möglichkeit zur Weiterbildung des Tierphysiotherapeuten dar.

Physiotherapeuten gleich welcher Fachrichtung sind Spezialisten für eine funktionierende Biomechanik in der Prävention und Therapie von krankhaften Prozessen verschiedenen Ursprungs.

Der Physiotherapeut stellt Abweichungen des normalen Bewegungsmusters durch ganzheitliche Analysen fest, plant die Therapie und behandelt selbstständig bzw. auf Anweisung eines Arztes/Tierarztes seinen Patienten.

Das Leistungsspektrum eines Pferdephysiotherapeuten umfasst die Ursachenbehandlung von Rücken-, Muskel- und Sehnenproblemen sowie die Rehabilitation nach Krankheiten, Unfällen, Operationen und die Leistungssteigerung durch Konditionsaufbau und -erhaltung. Zudem bietet sie prophylaktische Maßnahmen für die Gesunderhaltung und Unfallverhütung von Pferd und Reiter, die Überprüfung der Ausrüstung von Sattel, Trense, Halfter und Geschirr, Beratung zu Fütterung und Pferdekauf etc.

Folgende angewandte Pferdetherapien entsprechen den bewährten Methoden:

  • Massage
  • Stresspunkt (Triggerpoint)-Massage
  • Akupressur
  • Heilgymnastik
  • Lymphdrainage
  • Aktive und passive Mobilisation
  • Aufbautraining
  • Beritt- und Bewegungstherapie
  • Entspannungstherapie
  • Muskeldehnung und Gerätetherapie
  • Verschiedene individuelle Schwerpunktspezialisierungen

Foto: Knosp/BrotzkiReiter und Pferdebesitzer wenden sich bei verschiedenen Problemen des Pferdes an einen fachkundigen Pferdephysiotherapeuten. Angelaufene Pferdebeine, Lahmheiten, Sehnenan- und abrisse, Fesselträgerentzündungen, Taktfehler, Kreuzgalopp, Widersetzlichkeiten, reiterliche Probleme und v. a. Schmerzen des Pferderückens stellen nur einen kleinen Auszug der Aufgabenstellung und der lösungsorientierten Arbeit eines Pferdephysiotherapeuten dar.

Die allgemeine Arbeit in der Tierphysiotherapie weist zwischen den Tierarten zwar Unterschiede auf, diese sind aber nur marginal zu bewerten.

Unterschiede Hund – Pferd

  • Das Pferd und seine Hufmechanik – der Hund mit seinen Ballen und Krallen.
  • Das Pferd wird geritten und gefahren – der Hund wird im Sport oder im Dienst trainiert.

Foto: Knosp/BrotzkiDie Physiotherapie kann fast allen Tieren bei körperlichen und/oder psychosomatischen Erkrankungen helfen und unterstützen. Ein Papagei kann hervorragend mit der Technik der Akupressur behandelt werden und Katzen haben z. B. nach einem „Kippfenstersyndrom“ die Möglichkeit auf Rehabilitation, um ihr Körperschema wieder zu stabilisieren.
Hieraus erschließt sich, dass das Berufsbild des Tierphysiotherapeuten mannigfaltige Möglichkeiten bietet, um sein heilendes Wissen, seine Begabungen und Interessen fachlich zum Wohle des Tieres einzusetzen. Analysendurchführung, Diagnose und Differentialdiagnose, Therapiepläne und Behandlungen sind verantwortungsvolle Aufgaben, die Genauigkeit und ein fundiertes medizinisches und naturheilkundliches Können voraussetzen.

Fallbeispiel

Foto: Knosp/BrotzkiAnamnese
Pascha, ein 9-jähriges Holsteiner- Pferd, wurde vor kurzem gekauft. Die Ankaufuntersuchung des Pferdes war ohne besonderen Befund. Beim Vorreiten zeigte sich das Tier taktrein und durchlässig. Beim Probereiten waren Stellung und Biegung einwandfrei möglich. Sechs Wochen nachdem der Besitzerwechsel stattfand, beklagte die Reiterin, dass Pascha sich nur noch eingeschränkt bewegte. Beim Reiten auf dem Zirkel verwarf sich das Pferd im Genick. Volten konnten überhaupt nicht mehr geritten werden und im Schritt stolperte Pascha vermehrt.

Diagnose
Nach eingehender Untersuchung mit den Methoden der Physiotherapie zeigte sich in der Palpationsanalyse, dass die Stresspunkte (Triggerpoints) der Hals- und Schultermuskulatur aktiv waren. Am seitlichen geraden Kopfmuskel (M. rectus capitis lateralis) reagierte Pascha bei leichtem Druck auf beiden Seiten erheblich schmerzdolent.
Die Arm-Kopf-Muskeln (M. brachiocephalicus) waren stark verspannt. Auf der linken Seite wies der Untergrätenmuskel (M. infraspinatus) Druckempfindlichkeit auf und auf der rechten Seite reagierten die Stresspunkte des Obergrätenmuskels (M. supraspinatus) sowie der ventrale Sägemuskel (M. serratus throacis).

Foto: Knosp/BrotzkiSymptome
Es zeigten sich deutlich spürbare Myogelosen in der betroffenen Muskulatur des Pferdes. Die Myogelose, auch Hartspann genannt, lässt sich als rundlich ovales oder strangartiges Erscheinungsbild lokalisieren. Bei leichtem Druck auf diese Stresspunkte verspürt das Pferd, je nach Ausprägung, leichte bis sehr starke Schmerzen. Diese „Triggerkomplexe“ wirken sich negativ auf das Pferd aus – die „perfekte Bewegung“ vollzieht sich nicht mehr – das Pferd zeigt sich ungelöst, da es Schmerzen verspürt. Die verhärtete Muskulatur wird für weitere Zerrungen und Muskeleinrisse anfällig. Als zusätzliche Konsequenz stellen sich Schädigungen an den Sehnen und den dazugehörigen Gelenken ein.
Die Blockierung im Genick ist auch gleichfalls dafür verantwortlich, dass es zum vermehrten Stolpern und Schlurfen mit den Hufen kommt, weil durch den stark verspannten Nackenbereich die Durchblutung gestört ist. Das Pferd wird dadurch müde und unkonzentriert.

Ursachen
Pferde werden durch ihre Beanspruchung im Reitsport immer einem gewissen Verletzungsrisiko ausgesetzt. Traumata, z. B. durch einen Schlag, Umknicken des Fußes, Stürze etc. führen unweigerlich zu leichten bis schweren gesundheitlichen Schäden. Auch permanente abnorme Belastungen der Wirbelsäule, der Gelenke, Bänder, Kapseln, Sehnen und der Muskulatur können das Pferd physisch und psychisch beeinträchtigen. Pascha ist in seinem neuen Stall auf der Koppel ausgerutscht und dabei gestürzt. Allerdings stand er sofort wieder auf und zeigte sich nicht sonderlich beeindruckt bzw. verletzt. Das wurde von einer anderen Reiterin beobachtet. Höchstwahrscheinlich ist der „kleine Koppelunfall“ für den Krankheitsverlauf verantwortlich.

Behandlung
Durch die klassische Stresspunkttherapie wird die Muskelverkrampfung exakt mit den Händen lokalisiert. Dann wird ein leichter, mittlerer oder starker Druck mit dem Daumen bzw. den Fingern ausgeübt. Die Stärke des angewandten Drucks hängt vom behandelten Gebiet und der Muskelmasse ab bzw. von der Reaktion des Pferdes und der daraus resultierenden Akzeptanz – die Schmerzgrenze wird hierbei immer beachtet. Anschließend wird der Muskel quer zur Faser gerieben und rhythmisch gedrückt. Die darauffolgenden Dehnungen an den jeweiligen Gliedmaßen sorgen für Muskelentspannung und sind somit für die Schmerzreduktion mitverantwortlich. Abschließend findet die Bewegungstherapie statt. Das Pferd wird geführt, longiert oder geritten. Meist reichen sechs bis acht manuelle Therapieanwendungen von jeweils 45 Minuten aus, um die Muskelschmerzen zu lösen. Pro Woche sollten zwei bis drei Therapieeinheiten erfolgen.
Im Fall von Pascha zeigte sich nach der siebten Behandlung die Muskulatur elastisch und das Pferd war in seiner Statik und Dynamik wieder gelöst und zufrieden.

REGINA KATJA BROTZKI REGINA KATJA BROTZKI
TIERHEILPRAKTIKERIN

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SANDRA KNOSPSANDRA KNOSP
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