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Kleinsäuger in Not: Reptilienauffangstation München e. V.

Foto: Farinoza - FotoliaWAS HABEN SÄUGETIERE IN EINER REPTILIEN-AUFFANGSTATION ZU SUCHEN?

Es war im November 2012, an einem Nachmittag, als das Telefon in der Reptilienauffangstation München klingelte und die lokale Stelle des Ordnungsamtes anrief. Ob man denn gegebenenfalls einen Platz für einen illegalen Serval (Leptailurus serval) wisse. Die verdutzten Mitarbeiter versprachen, ihre mittlerweile recht guten nationalen wie internationalen Kontakte zu Auffang- und Wildtierstationen zu aktivieren und auch in den vielen Zoos anzufragen, zu denen man freundschaftliche Kontakte und Kooperationen pflege. Es sah schlecht aus. Gehege voll, Kapazitäten ausgeschöpft … Kein Platz für die Katze!
Die Ereignisse überschlugen sich innerhalb der nächsten Stunden.

Der Serval existierte gar nicht (mehr), sondern war durch zwei Wüstenluchse oder Karakale (Caracal caracal) „ersetzt worden“. Diese lebten teils in einem ganz passablen Gehege, teils aber auch bestens durch Fotos dokumentiert als überdimensionierte Hauskätzchen mit den Bullmastiffs, einer Nacktkatze, Frettchen, Reptilien und einem Kleinkind in der Wohnung der Halter und „genossen die Couchlandschaft“. In Bayern ist die Haltung von Serval und Karakal erlaubnispflichtig, weil die Tiere dank ihrer Körpergröße und Kraft als potenziell gefährlich eingestuft werden. Darüber mag man, insbesondere beim Serval, trefflich streiten können, doch es ist nun einmal nach Art. 37 des bayerischen Landesstraf- und Verordnungsgesetz so geregelt. Hierbei darf sicherlich auch diskutiert werden, inwieweit die derzeit so modernen und hochpreisigen Wildkatzenhybriden, seien es „Savannah“, „Caracat“, Fischkatzenhybriden u. a., die für den „Hausgebrauch“ in nicht unerheblicher Stückzahl, unbestreitbar von enormer Schönheit und nicht wenig Anmut, die Wildheit des Dschungels in deutsche Wohnungen und Familien bringend, erzeugt werden. Wer jedoch die Größendifferenz zwischen den potenziellen Elterntieren, selbst wenn die Hauskatzenmütter großrahmige Tiere großwüchsiger Rassen sind, bedenkt, sollte ins Grübeln kommen. Paarungsverhalten, Anpaarungsunfälle, differierende Tragzeiten, Schwergeburten, Müttersterblichkeiten und eben die Tatsache, dass Wildkatzen nur selten sicher und artgerecht gut in Privathäusern, geschweige denn in Etagenwohnung zu halten sind, lässt den Gedanken an eine gewisse Problematik durchaus legitim erscheinen. Dies birgt bereits auf den ersten Blick eine erhebliche Tierschutzrelevanz.

Foto: Stephan RechAber zurück zu Cougar und Calaharia, den beiden Karakals. Auch für sie gab es keinen Platz, an dem die behördlich wegen Verstößen gegen das LStVG weggenommenen Tiere wenigstens vorerst und für eine gewisse Zeit hätten untergebracht werden können – europaweit.
Die Auffangstation für Reptilien, München e. V., bestehend seit den 1990er- Jahren, hatte aber zufällig durch die Vermittlung einer ganzen Gruppe Grüner Leguane an einen Zoo in Deutschland ein freies Gehege zur Verfügung. Dadurch, dass die Station mitten im schönen, teuren Schwabing, angrenzend an den Englischen Garten Münchens, selbst immer wieder erhebliche Raumprobleme hatte und noch immer hat, kam es zu einer sehr fruchtbaren Zusammenarbeit mit dem Tierschutzverein und Tierheim München. Dort wurden bis 2014 Affen gepflegt, einige davon noch Handaufzuchten, allesamt beschlagnahmte Tiere. Der Affenbestand wurde jedoch dankenswerterweise durch die Zusammenarbeit mit Stichting AAP, Niederlande, mehr und mehr kleiner und das Tierheim stellte die freien Affengehege nebst Innenboxen der Auffangstation zur Nutzung zur Verfügung. Dies war eine willkommene und sehr hilfreiche Lösung für kletternde, groß werdende Arten, wie eben jene Leguane, von denen die Rede war. Diese waren vermittelt und dadurch eine Innenanlage mit 25 Quadratmetern Fläche, Glasfront, erhöhten Sitz- und Liegebrettern, Fußbodenheizung, starken und UV-Licht emittierenden Strahlern, einem angrenzenden Freigehege mit 45 Quadratmetern Fläche, nebst Schiebern und sicheren Gehegeabgrenzungen, verfügbar. Ausgebildete Zootierpfleger gehören ebenfalls zum Team der Auffangstation. So lag es nahe, der Behörde anzubieten, die Tiere vorübergehend, bis eine geeignete Bleibe für sie gefunden wäre, dort einzustellen. Es mussten sämtliche Erlaubnisse eingeholt werden, von der Erweiterung der Betriebsgenehmigung nach § 11 Tierschutzgesetz bis zur Abnahme des Geheges hinsichtlich der Tierschutzgerechtigkeit und Sicherung, dann konnten sie kommen, die zwei „Aliens mit Fell“.

Sie bezogen das Innengehege mit Naturboden, Sonnenplätzen, lebender Bepflanzung, starken Kletterästen, Verstecken „en masse“ und einem frei zugänglichen Freigehege, ebenfalls mit Kletterbäumen, Enrichment, lebendem Bewuchs und erhöhten Aussichtsplätzen. Das Innengehege war beheizt und ein Wechsel von innen nach außen permanent möglich. Strohballen, Heuschütten, frisches Astwerk und motivierte Tierpfleger vervollständigten die Ausstattung der halbwilden, futterzahmen Katzen. Aus einer kurzfristigen, vorübergehenden Unterbringung wurden fast zwei Jahre und eine Herausforderung für das gesamte Personal der Auffangstation. Während dieser Erfahrung kamen weitere beschlagnahmte Tiere, die nun eben keine Reptilien, Amphibien und Fische waren, auch keine Insekten oder Spinnentiere, sondern Säugetiere, zu uns. Es wurde in der Folge beschlossen, in Absprache und in enger Kooperation mit dem Tierheim München, auch weiterhin kleine und mittlere exotische Säuger aufzunehmen und hierfür die Erlaubnisse auf diese Tiergruppe behördlich ausweiten zu lassen. Gesagt – getan!

Mittlerweile kann die Auffangstation, die jedoch deswegen ihren Namen nicht geändert hat, exotische Kleinsäuger aufnehmen.
Momentan wird der gesamte ehemalige Affentrakt des Münchener Ignatz- Perner-Tierheims genutzt, nachdem der über 37-jährige Bärenmakak (Macaca arctoides) „Gnom“ verstorben war und sein verwitwetes Weibchen „Floh“ durch Vermittlung der Reptilienauffangstation einen wundervollen Alterssitz in England in „Monkey World“, Dorset, unter der Obhut von Dr. Alison Cronin gefunden hat. Es war rührend, wie Dr. Cronin und ihr Cheftierpfleger den ersten Kontakt mit Floh geknüpft haben und wie sehr das Tier, ebenfalls eine Handaufzucht, das nie den Kontakt zu Menschen aufgegeben, sondern lebenslang gesucht hat, die neuen Menschen in seinem Leben liebevoll angenommen hat. Jetzt lebt Floh in einer Seniorengruppe von gut zehn Tieren, allesamt alt und oft mit schrecklichen Vorgeschichten behaftet, in einer herrlichen Anlage, ist bestens in die Gruppe integriert und kann dennoch weiterhin den für sie augenscheinlich wünschenswerten Menschenkontakt pflegen, wenn sie das möchte.

Foto: Berg - FotoliaKurze Zeit nach Flohs Umzug nach England erhielten wir erste Dauerbewohner: sechs Zwergmangusten (Helogale parvula) aus einem Zoo, der die hochbetagten Tiere wegen nicht verschiebbaren Umbaumaßnahmen abgeben musste. Sie bewohnen nunmehr eine geräumige Innenbox, die etwa einen halben Meter hoch mit einem Lehm-Sand-Gemisch aufgeschüttet wurde, in dem Tunnel und Röhren mehrere Nestkästen verbinden, aber auch eine Vielzahl von Verstecken und Aussichtsöffnungen bieten. Zudem verfügen die Tiere über Totholz, Gestrüpp und Klettermöglichkeiten, die von den „Wächtern“ auch gerne genutzt werden. Auch sie können ein Außengehege nutzen, das ca. 20 Quadratmeter groß ist, mit Naturboden und Bewuchs ausgestattet ist und eine Vielzahl an Kletter- und Grabmöglichkeiten bietet. Das Außengehege kann ganzjährig genutzt werden, während innen Wärme- und UV-Lampen sowie eine partielle Bodenheizung für Wärme sorgen. Bei unseren „Mungosenioren“ sehen wir ganz bewusst von einer Weitervermittlung ab. Sie dürfen bis zu ihrem Tod in der Obhut der Station bleiben. Sollte sich jedoch unerwartet und sicherlich nicht gewollt nochmals eine späte Nachzucht einstellen, würden wir diese abgeben müssen. Dennoch wurde ganz bewusst – und sicherlich im Gegensatz zum allgemein üblichen Vorgehen im Tierschutz – darauf verzichtet, Kastrationen vorzunehmen, da das soziale Leben dieser kleinen Schleichkatzen doch sehr von deren auch sexuellem und hormonellem Status abhängt, der durch Kastrationen gestört werden könnte. Hier muss das individuelle Tierwohl eindeutig vor tierschützerischen Belangen angesiedelt werden, getreu dem Motto der Station: Wissen schützt Tiere.

Isselée - FotoliaAuch Sugar Glider oder Kurzkopf-Gleitbeutler (Petaurus breviceps) waren bereits bei uns zu Gast, nachdem sie mehrere Monate, fast ein Jahr lang in einem Tierheim gelebt hatten, ohne vermittelt zu werden. Das angebliche Männerpaar entpuppte sich bald als Fake, sodass Nachwuchs bereits wenige Wochen nach dem Eintreffen der Tiere vorhanden war. Auch für diese Tiere wurde ein Raum zur Verfügung gestellt mit einem Separee von zwei Quadratmetern Grundfläche und knapp drei Metern Höhe, das die Tiere selbstständig verlassen konnten, um den benachbarten Leguanen Gesellschaft zu leisten. Es stand außer Frage, dass das Leguangehege (16 Quadratmeter) ebenso das Revier der kleinen Kletterer werden würde wie der eigentliche Gleitbeutler-Raum selbst. Die Gleitbeutler konnten jedoch bald an einen sehr versierten und erfahrenen Kleinsäugerhalter vermittelt werden.

Foto: stradao - FotoliaDann übernahmen wir auf Bitte des deutschen Tierschutzbundes Streifenskunks (Mephitis mephitis). Die sieben Jungtiere entstammten einer ungewollten Zucht mit Tieren, die aus einem Tierheim stammten und angeblich kastriert gewesen sein sollten. Dem war nicht so und niemand hatte nachgesehen, da ja die „Gefahr“ bestand, eine Ladung aus den Stinkdrüsen abzubekommen. Also wurde dem Vorbericht geflissentlich und vertrauensselig Glauben geschenkt – seitens des Tierheimes ebenso wie seitens der neuen Halter – und die Überraschung war groß, als „Sissy & Franzl“ alsbald Eltern geworden waren. So erhielten wir sieben halbwüchsige Skunks in Albino, Crème, Braun-Weiß und Wildfarben. Die Tiere lebten zunächst einige Wochen in einem ebenfalls ca. 15 Quadratmeter großen Innengehege und erkundeten zudem das angrenzende, ca. 30 Quadratmeter große Außengelände mit Naturboden, anfangs noch lebender Bepflanzung, allerlei Enrichment und Strohballen mit verstecktem Futter und als Sichtschutz, Deckung und Klettermöglichkeiten. Es braucht nicht dezidiert erwähnt werden, dass der Naturboden binnen kurzer Zeit aussah, als lebten im Gehege keine Skunks, sondern eine Rotte Wildschweine. Aber die Tiere hatten und haben ihren Spaß. Wie der Zufall so spielt, wurden auch die Elterntiere alsbald bei uns abgegeben, da die eigentlich sehr engagierte und liebevolle Halterin mit einer Risikoschwangerschaft für die kommenden Monate liegend verbringen musste und sich nicht mehr um die Tiere kümmern konnte.

Gerade die Skunks haben uns wieder darin bestätigt, wie dringend notwendig eine „Kleinsäugerabteilung“ war und ist, und auch, wie viel Freude die Pflege solcher Tiere bereiten kann. Dieser Aspekt darf nicht unerwähnt bleiben, denn Kleinsäuger waren ja ein berufliches Novum für uns. Dennoch hat sich gezeigt, wie herrlich neue Herausforderungen sein können und wie aufregend Enrichment sein kann, wenn man den „Verhaltensund Lebensraumbereicherten“ direkt ansehen kann, wie viel „Spaß“ sie dadurch haben. Trotzdem zeigen gerade die „Stinker“ auch wieder ganz genau, wie schnell Besucher zu begeistern sind, ohne die allergeringste Ahnung davon zu haben, wie die Tiere gepflegt und untergebracht werden sollen, was für Bedürfnisse sie haben und auch, wie wenig „Mensch“ bereit ist, seine idealisierte Vorstellung vom Tier als Gefährten zu relativieren, wenn man aufklärt und darstellt, dass ein Skunk weder einzeln noch in einer Etagenwohnung gehalten werden soll. Und natürlich wird der Skunk, sofern er kein Gehege hat oder in der Wohnung des Menschen „Familienanschluss“ bekommen soll, diese Wohnung nach seinen Vorstellungen und Bedürfnissen umgestalten. Auch dies ist ein Beispiel dafür, dass sich bestimmte Tierarten nicht oder nur sehr bedingt für die Haltung in Privathand eignen. Sind diese Tiere aber einmal im Land, müssen ihnen auch adäquate Lebensbedingungen geboten werden. Hier steht noch eine ganze Menge intensiver Aufklärungsarbeit bevor, um den Wildtieren in Menschenhand allgemein ein gutes Leben sicherstellen zu können. Dass hierbei, analog zu den Reptilien, strikte Verbote oder Listen – egal, ob Negativoder Positivlisten – nicht zielführend sein können, sondern gut vermittelte Sachkunde im Vordergrund stehen muss, kann nicht oft genug erwähnt werden. Hier soll aktiver Tierschutz und Sachverstand aus den Reihen kommen, wo sie vorhanden sind. Engagierte Hobbyisten ebenso wie „Professionelle“ können dabei eine wichtige Rolle spielen, damit bestehende, durchaus sinnige Regelungen eingehalten werden können (und müssen).

Teil 2 in der nächsten Ausgabe.

DR. MARKUS BAUR DR. MARKUS BAUR
FACHTIERARZT FÜR REPTILIEN LEITER DER AUFFANGSTATION FÜR REPTILIEN, MÜNCHEN E. V.

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ISABEL GREFEN ISABEL GREFEN
TIERÄRZTIN IN WEITERBILDUNG ZUR FACHTIERÄRZTIN FÜR REPTILIEN EHRENAMTLICH IN DER AUFFANGSTATION FÜR REPTILIEN, MÜNCHEN E. V.

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