Ernährung pflanzenfressender Reptilien: Was ist zu beachten?
Reptilien als „Heimtiere“ erfreuen sich großer Beliebtheit. Sie sind an ihren Lebensraum hoch angepasste und oft auf eine ökologische Nische spezialisierte Tiere. Sie können aber auch, was die Nutzung seltener Ressourcen angeht, enorme Opportunisten sein. Je spezialisierter und angepasster ein Organismus ist, desto anfälliger und limitierter ist er auch bezüglich einer oder mehrerer Veränderungen bzw. neuer Herausforderungen. Damit diese Wildtiere gesund bleiben, ist es wichtig, zu bedenken, dass sie sich nicht durch jahrhundertelange Domestikation an in menschlicher Obhut vorhandenes Futter anpassen konnten, sondern dass sie aufgrund ihrer Morphologie (anatomischer Aufbau des Verdauungstraktes) und ihrer Physiologie (Stoffwechselvorgänge der Verdauung) ebenso wie vorhandener Spezialisierungen auf bestimmte Futterquellen (z. B. Eierschlangen) essentiell auf für ihren Körper verdauliches Futter angewiesen sind. Eine gute Fütterung von Reptilien orientiert sich demnach an der Natur. Das Ziel sollte eine möglichst naturnahe Ernährung sein mit einer Nahrung, die dem Futter, das die Tiere in der Natur finden, möglichst nahe in Qualität, Quantität und Form kommt.
Warum ist das so wichtig?
Zum einen ist durch das deutsche Tierschutzgesetz vorgeschrieben (§1 und §2), dass „niemand einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen darf“ und dass der Tierhalter „das Tier seiner Art und seinen Bedürfnissen entsprechend angemessen (also artund verhaltensgerecht) ernähren muss“.
Ca. 60 bis 70 Prozent der diagnostizierten Erkrankungen bei Reptilien sind direkt oder indirekt ernährungsbedingt! Das bedeutet, falsche Fütterung löst sowohl direkt (z. B. Gicht, Vitaminmangel oder -überversorgung, Fettlebersyndrom) als auch indirekt (z. B. Legenot durch verformte Knochen, aufgrund von Kalziummangel) bei den Tieren Schmerzen, Leiden und Schäden aus, die nicht selten zum Tod des Tieres führen. Indirekte Zusammenhänge sind häufig schwerer zu erkennen, aber nicht weniger gravierend. Hierzu zählen z. B. auch eine rasche, unkontrollierte Vermehrung von Parasiten bei falscher Fütterung oder ein durch Stress geschwächtes Immunsystem etc. Zum anderen hat man natürlich als Halter eine ethische Verpflichtung und Verantwortung, die eigenen Tiere so gut wie nur möglich zu pflegen.
Wer noch mehr Gründe braucht, warum adäquate Ernährung wichtig ist, darf gerne im Hinterkopf behalten, dass es billiger ist, ein Tier richtig zu ernähren und es gesund zu halten, als ein krankes Tier aufwendig und nicht immer erfolgreich wieder gesund pflegen zu müssen.
Woraus setzt sich Nahrung zusammen?
Nahrung besteht aus drei Hauptanteilen: Proteinen (Eiweiß), Kohlenhydraten und Fetten, zusätzlich aus Vitaminen (wasser- oder fettlöslich), Mineralien, Spurenelementen und Wasser. Viel Protein ist in fleischlicher Nahrung, wie z. B. Säugetierfleisch, Geflügel oder Fisch, aber auch in Insekten enthalten, allerdings findet es sich auch teilweise in hohen Mengen in Pflanzen. Physiologisch, insbesondere hinsichtlich der Exkretion (Ausscheidung), ist es beim Reptil irrelevant, ob das Protein tierischen oder pflanzlichen Ursprungs ist. In Abhängigkeit vom Alter der Pflanze verändert sich der Proteingehalt. Hülsenfrüchte (Erbsen, Bohnen, aber auch Klee und Luzerne) enthalten sehr viel Protein. Bei Kohlenhydraten gibt es leichtverdauliche (z. B. Zucker, Glucose) und schwer- bis unverdauliche (z. B. Zellulose). Kohlenhydrate sind wichtig für die Energiezufuhr, die schwerverdaulichen sind zusätzlich als Ballaststoffe für eine geregelte Verdauungsfunktion wichtig. Fette und Fettsäuren sind auch häufig in tierischen Nahrungsmitteln enthalten. Viele Vitamine können nur vom Körper aufgenommen werden, wenn gleichzeitig ungesättigte Fettsäuren vorhanden sind. Bei vielen herbivoren (pflanzenfressenden) Reptilien wird wie beim Wiederkäuer oder Dickdarmfermentierer, wie z. B. dem Pferd, der Bedarf an Energie weniger durch leicht verfügbare Kohlenhydrate gedeckt, die im Dünndarm aufgeschlossen und resorbiert werden, als vielmehr durch die mikrobielle Fermentation über Darmsymbionten zu kurzkettigen flüchtigen Fettsäuren. Jedoch gibt es, analog zu Ziegen oder Rehen, auch Arten, die Konzentratselektierer sind und gezielt jene Pflanzenanteile aufnehmen, z. B. Früchte, die leicht verfügbare Kohlenhydrate oder Proteine beinhalten.
Was ist eine gute Ernährung? Weiß ein Reptil nicht selbst am besten, was gut ist?
Leider nein. Die meisten Reptilien, gerade die herbivoren Reptilien, sind Opportunisten, was ihre Ernährung angeht. Da viele von ihnen aus Gebieten mit zumindest vorübergehend heißen und trockenen Perioden stammen, in denen energiereiche pflanzliche Nahrung knapp sein kann, ist es für sie in freier Wildbahn normal, alles zu fressen, was irgendwie Energie verspricht. Dies kann Aas sein oder auch der Inhalt einer gebrauchten Babywindel ebenso wie das weggeworfene Brot eines Touristen. In freier Wildbahn kann dies ein Überleben sichern. Sobald solche „Nahrung“ aber regelmäßig oder in größeren Mengen aufgenommen wird, macht sie krank. Der Verdauungstrakt dieser Pflanzenfresser aus ariden (trocken-heißen) Gebieten ist darauf eingestellt, sich mit wenig nahrhaften, kalorienarmen, trockenen und z. T. stark verholzten Pflanzen auseinanderzusetzen und diese so gut wie möglich aufzuschlüsseln und daraus Energie zu ziehen. Dies bedeutet aber auch, dass leichte und schnell verdauliche Nahrung, wie z. B. Obst und Gemüse oder gar Getreide oder Backwaren wie Brot, die Verdauung komplett aus dem Gleichgewicht werfen. Fehlgärungen und Durchfall (Dysbakterie, Maldigestion und Malabsorption, Enteritis bis hin zur Ulkusbildung) und infolge dessen eine unkontrollierte Vermehrung von Darmparasiten sind häufig die Folge. Die Pflanzen sollten also möglichst rohfaserreich sein (alte, ausgewachsene Pflanzenteile, nicht die zarten, grünen Triebe). Nur weil eine Griechische Landschildkröte Aas und Schnecken frisst, wenn sie dies findet, heißt das nicht, dass man ihr Hackfleisch oder Katzenfutter anbieten sollte. Die Niere ist bei Reptilien im Vergleich zum Säugetier ein eher „primitives“ Organ, das wesentlich weniger funktionelle Einheiten hat und evolutionsgeschichtlich einfach noch nicht so weit entwickelt ist. Das bedeutet auch, dass sie wesentlich anfälliger gegen Überbelastung ist, wie sie z. B. bei einer Überversorgung mit Protein gegeben ist. Hinzu kommt, dass bei landlebenden Reptilien ein spezieller Stoffwechselprozess existiert, der dafür sorgt, dass viel Wasser im Körper zurückbehalten wird, was in heißen Gebieten mit regelmäßigem Wassermangel überlebenswichtig ist. So wird aller Stickstoff (der besonders in Proteinen vorhanden ist) in Harnsäure, nicht wie bei den Säugetieren in Harnstoff, dessen Ausscheidung hohe Wassermengen beansprucht, umgewandelt, diese Harnsäure wird dann über die Nieren als weiße Paste mit nur geringem Wasseranteil ausgeschieden (Uricotelie). Dies braucht wesentlich weniger Wasser als die bei den meisten anderen Tieren „normale“ Ausscheidung von Harnstoff, der in Wasser gelöst ausgeschieden werden muß (Ureotelie). Wenn aber eine Überversorgung mit Proteinen stattfindet, die Niere also mehr Harnsäure ausscheiden muss, als sie dazu in der Lage ist, lagert sich die anfallende Harnsäure in Organen und Gelenken ab, nachdem sie ihr Löslichkeitsprodukt überschritten hat und auskristallisiert. Das Tier bekommt Gicht, was ein hochschmerzhafter Prozess ist. Zusätzlich führt die dauerhafte Überbelastung der Niere zu Nierenversagen. Hinzu kommt die in allen Organen und serösen Häuten mögliche Organ- oder Viszeralgicht und erst später die eigentliche Gelenksgicht, die sich nicht – wie beim Menschen – anfallsartig, sondern persistierend dauerhaft und auch nicht in einzelnen Gelenken, sondern in jedem einzelnen Gelenk gleichermaßen und dauerhaft manifestiert.
Besonders häufig ist dies bei Bartagamen zu sehen, die in freier Wildbahn zwar durchaus, besonders als Jungtiere, zusätzlich zu Pflanzen auch Insekten erbeuten und fressen, in Gefangenschaft aber in den allermeisten Fällen viel zu viele Insekten gefüttert bekommen (mehrmals pro Woche oder sogar täglich, was zudem durch eine Art Dressur oder Futterprägung bei Mensch und Echse begünstigt wird). Was die meisten Halter nicht beachten, ist, dass die Pflanzen, die hier bei uns verfüttert werden, bereits sehr viel mehr Protein enthalten, da es sich meist um junge, nicht ausgewachsene, frische Pflanzen handelt, im Gegensatz zu den Steppengebieten Australiens, in denen zwar im sehr kurzen Frühling auch junges, proteinreiches Grün wächst, den Rest des Jahres über aber hauptsächlich alte, verholzte, proteinarme Pflanzennahrung zur Verfügung steht. Wenn zu unserer pflanzenproteinreichen Nahrung nun auch noch regelmäßig und häufig tierisches Protein zugefüttert wird, können die meisten Reptiliennieren nicht mehr damit umgehen. Interessant ist gerade bei Bartagamen, dass ihr Magen-Darm-Trakt mit einem großen Blinddarm zum Aufschlüsseln schwerverdaulicher Kohlenhydrate (Cellulose) die typischen Merkmale eines pflanzenfressenden, nicht eines fleischfressenden Tieres aufweist.
Ist Pflanze gleich Pflanze?
Wie schon beschrieben, verändern Pflanzen im Laufe ihres Wachstums ihre Zusammensetzung, Die Anteile an leichtund schwerverdaulichen Kohlenhydraten sowie an Proteinen sind unterschiedlich je nach Alter der Pflanze. Krautige, zum Verholzen neigende Pflanzen haben im Herbst einen wesentlich höheren Rohfaseranteil (schwerverdauliche Kohlenhydrate) als im Frühling. Junge Pflanzen haben einen höheren Anteil an leichtverdaulichen Kohlenhydraten und enthalten mehr Protein. Hinzu kommt, dass je nach Pflanzenart die chemische Zusammensetzung eine andere ist und der Gehalt an Mengenelementen, wie Kalzium, variiert. So gibt es z. B. sehr proteinreiche Pflanzen (Luzerne, Heu vom zweiten Schnitt, Klee, Raps, Soja). Für die Fütterung der meisten herbivoren Reptilien eignen sich Pflanzen mit hohem Rohfaseranteil, geringem Proteingehalt und niedrigem Anteil an leichtverdaulichen Kohlenhydraten. Daraus lässt sich nun leicht ableiten, dass Salat und Gemüse nicht oder nur bedingt für die Fütterung geeignet sind. Salat hat nur einen sehr geringen Rohfaseranteil, hinzu kommt, dass der Kalziumgehalt viel zu niedrig ist, der Phosphatgehalt aber viel zu hoch, was dem Knochenstoffwechsel und in der Folge der Nebenschilddrüse und den Nieren Probleme (sekundärer alimentärer, ggf. auch renaler Hyperparathyreoidismus) verursachen. Gemüse und Sprossen enthalten häufig sehr leicht verdauliche Kohlenhydrate und hohe Mengen an Protein, außerdem nicht selten Oxalsäure (Tomaten, Paprika, Spinat), die dem Körper wichtiges Kalzium durch Komplexbildung entzieht. Obst mit seinem hohen Zuckeranteil sollte auch nicht verfüttert werden, da Zucker bei an die Fermentation von Zellulose adaptierten Arten eine Fehlgärung und Verschiebung bis hin zur Eliminierung der Darmflora gehende Schäden bedingt, der pH-Wert im Darm sich drastisch verändern kann und notwendige Verweilzeiten der Nahrung im Darm unterschritten und viel Wasser verloren wird.
Was eignet sich also?
Geeignete Futterpflanzen sind Wildkräuter, die in jedem Garten als Unkraut vorkommen: Löwenzahn, Spitzwegerich, Breitwegerich, Giersch, Gänseblümchen, Brenn- und Taubnesseln, Vogelmiere, Knoblauchrauke u. v. a, und am besten die älteren Pflanzenteile. Leider kommt man häufig nicht umhin, in den Übergangszeiten (Winter, Frühling) auf Salat zurückgreifen zu müssen. In dem Fall sollte man auf Abwechslung und möglichst rohfaserreiche Sorten achten, wie z. B. Endivien, Romana, italienischer Löwenzahn (Catalogna), Radicchio, Frisee etc. Man sollte insbesondere äußere Blätter und hartfaserige Pflanzenteile anbieten. Wichtig ist hierbei, dass man auch eine Kalziumquelle anbietet (z. B. Sepiaschulp) oder den Salat direkt mit Kalzium bestreut. Man kann auch den Rohfasergehalt verbessern, indem man aufgeweichte Heucobs oder Agrobs (mit einem Rohproteingehalt zwischen 5 und 9 %) mit dem Salat vermischt bzw. zusätzlich gutes Heu aus dem ersten, aber dennoch möglichst späten Schnitt oder sogar gutes Stroh (z. B. Hafer) anbietet. Auch, aber nur für die Übergangszeiten, kann man zusätzlich in Maßen Gurken, Zucchini, Karotten, Mangold, Karotten- oder Rettichgrün und Gartenkräuter (glatte Petersilie, Gartenkresse, Borretsch) verfüttern, wobei man immer im Hinterkopf haben sollte, dass dies nur eine Notfalllösung ist und keinesfalls routinemäßig das ganze Jahr über gefüttert werden sollte. Manche Reptilien, besonders Sporn- und Pantherschildkröten, fressen Heu und Stroh, des Weiteren sind Sedum- und Dickblattgewächse z. T. sehr beliebt (z. B. Flammendes Käthchen, Fette Henne) und selbst Laub von Linden und Obstgehölzen wird im Frühjahr gefressen. Wasserentzug durch Trocknen verändert nicht den Rohfaser- oder Rohproteingehalt. Trocknet man eine junge, eiweißreiche Pflanze, behält sie auch im trockenen Zustand den hohen Eiweißgehalt. Der Gehalt an Rohfaser wird dadurch nicht erhöht! Es gibt sehr gute Bücher zur Futterpflanzenbestimmung, so z. B. von Marion Minch das „Handbuch der Futterpflanzen für Schildkröten und andere Reptilien“ oder von Wolfgang Wegehaupt das Werk „Futterpflanzen“.
Gerade Kindern macht das Sammeln von Pflanzen sehr viel Spaß, aber auch für Erwachsene ist es sehr lehrreich. Es ist doch eine Bereicherung, wenn man an Wiesen vorbeikommt und nicht einfach nur „Grün“ oder „Unkraut“ sieht, sondern die einzelnen Pflanzen auseinanderhalten, erkennen und schätzen lernt.
DR. MARKUS BAUR
FACHTIERARZT FÜR REPTILIEN, LEITER DER AUFFANGSTATION FÜR REPTILIEN, MÜNCHEN E. V.
TÄTIGKEITSSCHWERPUNKTE:
- Tierernährungsberatung
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- Sachverständiger (BMU) für Reptilien
ISABEL GREFEN
TIERÄRZTIN IN WEITERBILDUNG ZUR FACHTIERÄRZTIN FÜR REPTILIEN, EHRENAMTLICH IN DER AUFFANGSTATION FÜR REPTILIEN, MÜNCHEN E. V.
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