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Der Tanz der Kreuzotter - Für Kinder

Ich bin Otto, eine Kreuzotter. Als meine 10 Geschwister und ich vor vier Jahren im August geboren wurden, war es herrlich warm. Um das Licht der Welt zu erblicken, musste ich erst die zarte Eihülle zerreißen, und dann ging es sofort auf Entdeckungstour. Ich kroch mit meinen kurzen 17 cm Länge davon und begann schon wenige Tage später damit, kleine Frösche, Echsen und Mäuse zu jagen. Dafür biss ich das entdeckte Beutetier. Manche versuchten noch zu fliehen, doch das Gift in meinen Zähnen sorgt nicht nur dafür, dass bereits die Verdauung des Tieres beginnt, sondern lähmt es auch, sodass ich es in so einem Fall nur kurz verfolgen muss und dann verspeisen kann.
Die Verfolgung gelingt mir mit meiner Zunge, mit der ich die Duftspur aufnehme und dann mein Essen rasch finde. Das verschlinge ich meistens mit dem Kopf als Erstes am Stück und verdaue es anschließend. Dafür kann ich meine Oberund Unterkiefer ganz schön weit auseinanderziehen.
Ich habe einen schönen Platz zum Leben gefunden: am Rande eines kleinen Wäldchens an einer Lichtung. Hier habe ich genug Sonne, um „aufzuheizen“, denn meine liebste Körpertemperatur liegt zwischen 30 und 33 Grad Celsius. So auf Betriebstemperatur gebracht, kann ich gut jagen, und da ich ein tagaktives Wesen bin, geht es nach dem Sonnenbad direkt los. Jetzt, da ich erwachsen bin, freue ich mich, wenn mal eine kleine Maus auf meinem Teller landet, bin aber auch mit einem Frosch sehr zufrieden.

Das Einzige, wo ich wirklich aufpassen muss, sind andere Tiere, die mich gerne fressen würden. Gefährlich können mir dabei Igel und Iltis werden, auch Greifvögel und Störche meinen, ich sei ein „leckerer Braten". Wenn ich eine Erschütterung auf dem Boden spüre, verstecke ich mich deswegen ganz schnell. Sobald die Temperaturen draußen sinken, verkrieche ich mich ab Oktober im Boden und überwintere hier in Kältestarre. Erst wenn die Temperatur wieder auf 2 Grad steigt, wache ich auf und kehre zurück an die Erdoberfläche. Natürlich bin ich in den vier Jahren meines Lebens eifrig gewachsen und habe mich mehrfach gehäutet, die zu kleine Haut wie einen Pullover ausgezogen. Mittlerweile bin ich 70 cm lang, und das hübsche dunkle Zickzack-Muster auf meinem Rücken und das Kreuz auf meinem Kopf sind gut erkennbar. Ich mag meine silbergraue Farbe gerne, aber auch andere Artgenossen mit bräunlich-rötlicher Färbung sowie die ganz schwarzen finde ich hübsch.
Da ich jetzt mit vier Jahren endlich geschlechtsreif bin, mache ich mich auf die Suche nach meinem Traumweibchen. Ein bisschen fürchte ich mich schon, dass auch ein anderes Kreuzotter-Männchen sich für meine Angebetete interessiert, denn dann wird gekämpft. Ich habe das im letzten Jahr mal beobachtet. Das sah aus wie ein Hochzeitstanz, war aber gar nicht so harmlos, denn der eine versuchte den anderen vom Weibchen, das in der Sonne schon seit Stunden oder Tagen Wärme tankte, um die Eier in ihrem Körper warm zu halten, wegzudrücken. Elegant war es trotzdem, wie sich die beiden Kontrahenten s-förmig aufrichteten, sich seitlich hin- und herwiegten, umschlangen und so lange ihre Körper fest aneinanderdrückten, bis sie umfielen. Der Schwächere floh schließlich. Der Sieger durfte dann das Weibchen begatten. Ich hoffe ja, dass ich als Sieger aus diesem Tanz hervorgehen werde. Mich wundert es ja, dass die beiden sich nicht ineinander verknotet haben. Übrigens werden Kreuzottern lebend geboren. Da das Klima hier in Deutschland zu kalt dafür ist, dass die Tierchen sich in gleichbleibender Temperatur entwickeln können, bleiben die befruchteten Eier im Bauch der Mutter, die durch eifriges Sonnenbaden dafür sorgt, dass es ihren kleinen Ötterchen gut geht. Das ist bei Schlangen gar nicht so typisch.

Für euch Menschen sind wir keine echte Gefahr, denn wenn ihr in unsere Nähe kommt, spüren wir meistens rechtzeitig, wie der Boden vibriert, und verstecken uns schnell. Beißen tun wir nur, wenn wir uns bedroht fühlen, selbst dann setzen wir unser Gift bei Verteidigungsbissen meist nicht ein. Wenn du aber doch mal von einen meiner Artgenossen gebissen wirst, ist es wichtig, erst einmal Ruhe zu bewahren. Abbinden, Wunde aussaugen oder Ähnliches ist nicht nötig. Sinnvoll ist es, den Körperteil ruhigzustellen. Dafür kannst du dir in der Nähe einen Stock suchen und mit einem Stück Stoff die Stelle schienen. Wenn ein Bach in der Nähe ist oder du Wasser dabei hast, kann damit der Biss gekühlt werden, denn schmerzhaft ist der schon. Nach diesen Erste-Hilfe-Maßnahmen kann der Arzt übernehmen. Todesfälle nach einem Kreuzotterbiss sind wirklich selten, auch wenn Übelkeit, Erbrechen und Schwindel unangenehm sind.
Ich hoffe, wenn du jetzt mal einer von uns begegnest, kannst du entspannt bleiben und freust dich mit uns gemeinsam über die Auszeichnung „Reptil des Jahres 2024“.